Sonntag, 23. September 2018

Kult der Tugend





















Man sollte langsam mal einen Sammelbegriff für diese Art Bands finden, die diese ganz besondere Art von hibbeligem Futur-New Wave-Mathrock-Glitzerpop machen, der so sehr nach ADHS, Atari-Soundtracks, der Double Fantasy-Version von Yoko Ono und den frühen Sachen von Devo klingt. Acts wie Anamanaguchi, Deerhoof und Adebisi Shank haben vor einigen Jahren diese Art von Popmusik auf sehr coole Art und Weise kultiviert und gäbe es eine Vokabel, der ihren künstlerischen Ansatz kurz und knackig beschreiben würde, müsste ich hier nicht so lange darüber schreiben, was Guerilla Toss für Songs schreiben. Fest steht immerhin, dass sie es damit in fast zehn Jahren Existenz zum Status einer kleinen Untergrund-Legende gebracht haben. Was auch alles andere als ein Wunder ist: Mit ganzen fünf Alben seit 2012 sind sie definitiv ein paar ganz besonders fleißige Bienchen und Platten wie Gay Disco oder Eraser Stargazer gelten inzwischen als heiße Insider-Tipps in den coolen Netzforen dieser Welt. Allerdings hat es bis zum letzten Jahr gedauert, dass sie damit auch wirklich größere Aufmerksamkeit erhaschen konnten. Ihr fünfter Longplayer GT Ultra wurde 2017 zum Indiepop-Geheimtipp, auf den auch einige größere Medien aufmerksam wurden, was sie spätestens 2018 zu einer Band macht, die man als musikinteressierter Mensch auf dem Zettel haben könnte. Es ist zu erwarten, dass Twisted Crystal die LP ist, mit der so etwas wie ein "Durchbruch" für Guerilla Toss möglich ist. Blöd nur, dass es sich dabei um ihre vielleicht schwächste Aufnahme seit einer ganzen Weile handelt. Nicht im geringsten um ein mieses Album, sondern nur um ein nicht ganz so überzeugendes. Man darf das wirklich nicht falsch verstehen: Diese Platte ist in so ziemlich jeder Hinsicht gut, nur waren ihre letzten Sachen eben besser. Die Bostoner waren darauf eine unberechenbare Krawalltruppe, die einen extrem erfrischenden Crossover aus Punk, Elektropop, No Wave und Psychrock spielte. Und nachdem ihre Frühphase großartig war, weil diese Band einfach nur komplett verfreakt war, war GT Ultra im letzten Jahr umso großartiger, da hier die vielen Einflüsse erstmals so etwas wie Songwriting verpasst bekamen. Was die Balance zwischen Attitüde und Struktur anging, war sie in vielerlei Hinsicht der bisherige Höhepunkt von Guerilla Toss. Auf Twisted Crystal kippt nun dieses Gleichgewicht für meine Begriffe ein bisschen zu sehr in Richtung Struktur. Für die Verhältnisse dieser Gruppe ist das hier in ziemlich zahmes Synthpop-Album, was eben leider auch etwas langweilig ist. Und das, obwohl die MusikerInnen sich echt Mühe gegeben haben: Klanglich gesehen ist das hier der erste wirklich gewollte Schritt der Band in Richtung eines professionellen Studio-Sounds, der gar nicht mal übel daher kommt, und wie Sängerin Kassie Carlson ihre Gesangsperformance von räudiger Punk-Diva auf Roboterprinzessin vom Schlag Poppy umstellt, ist nicht weniger als beeindruckend. Sympathische Songs wie Jesus Rabbit, Meteorological oder Come Up With Me gibt es obendrein. Dennoch klingen Guerilla Toss unterm Strich dabei musikalisch amputiert und irgendwie gewollt brav. Twisted Crystal klingt ein bisschen wie diese eine Folge von Misfits, in der alle StrafstünderInnen dem Kult der Tugend anschließen, nur dass sie am Ende eben keine hedonistischen Drecksäcke mehr werden. Sicher, mit Xavier Naidoo wird das hier niemand vergleichen wollen, aber der Unterschied zu den Vorgängern wird schon sehr deutlich. Und ich finde es ein bisschen doof, dass ausgerechnet dieses angepasste und zurechtgeformte Album jenes sein soll, das viele Leute mit dieser Band bekannt macht. Es ist ein unschönes Ende der Untergrund-HeldInnen und ein suboptimaler Anfang für die Indie-Darlings Guerilla Toss. Vielleicht werde ich ja noch mit ihrem neuen Sound warm und ich bin mir sicher, dass sie jetzt nicht automatisch scheiße werden, aber es ist äußert wahrscheinlich, dass wir die alte, verrückte Inkarnation der Gruppe jetzt nicht mehr hören werden.






Persönliche Highlights: Jesus Rabbit / Meteorological / Hacking Machine / Come Up With Me

Nicht mein Fall: Magic is Easy

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