Montag, 17. Dezember 2018

Ich kann das erklären





















Ein großer Mainstream-Rapper wird Earl Sweatshirt in diesem Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr. Zu sehr hat das künstlerische Schicksal ihm in den letzten zehn Jahren mitgespielt, zu oft war er zur falschen Zeit am falschen Ort und zu vehement weigerte er sich auch aus eigener Kraft gegen den Weg des geringsten Widerstandes, als dass sein Erfolg irgendwann nochmal seinem Potenzial gerecht werden konnte. Als er 2010 sein erstes Mixtape beim damals berüchtigten Label Odd Future veröffentlichte, war er es, dem man die Karriere versprach, die wenig später Tyler, the Creator einschlug, während Earl in einer Besserungsanstalt für schwierige Teenager festsaß. Seine erste große Chance für den kommerziellen Absprung verpasste er also schon, bevor es überhaupt richtig losging. Sein Debüt drei Jahre später erschien dann zwar beim Major Columbia, doch war dieses eine ganze Ecke zu grantig und fahrig, um wirklich im Mainstream anzukommen. Und als 2015 seine erste richtig charakteristische Platte I Don't Like Shit, I Don't Go Outside erschien, war es eigentlich schon zu spät. Odd Future hatten wenige Tage vor Release ihre Auflösung verkündet und der Großteil seines Publikums, inklusive mir, verstand das fistere Genie und die depremierende Atmosphäre der LP zum damaligen Zeitpunkt nicht. In fast einer Dekade Earl Sweatshirt hat es also gefühlt nicht ein größeres Statement gegeben, das diesen Typen irgendwie auf der größer werdenen Karte des modernen Hiphop verortet hätte. Stand 2018, fast 2019, weiß man immer noch nicht so richtig, wer dieser Rapper eigentlich ist. Und dass seine ohnehin seltenen Arbeiten mit der Zeit immer mystischer werden, hilft da nicht wirklich. Es fällt mir tatsächlich schwer zu glauben, dass Some Rap Songs nun sein vollwertiger dritter Longplayer sein soll, denn in fast jeder Hinsicht wird es dem nicht gerecht. Dass es nur 24 Minuten lang ist, mag dabei noch gehen, das ist ja gerade en vogue, aber auch sonst fühlt sich vieles hier extrem substanzlos an. Die schlampig zusammengeschusterten Instrumentals, die skizzenhaften, extrem kurzen Stücke (kein einziger Track kommt auch nur auf drei Minuten) und die dröge Art, wie Earl hier auftritt, sind ermüdend. Vom Gefühl her ist Some Rap Songs eine Platte, die er letzte Woche noch fix eingeschoben hat, nicht ein Projekt, an dem er seit drei Jahren arbeitet. Das alles ist aber nicht der springende Punkt. Denn wenn man sich mal mit dem beschäftigt, was er in den Songs tatsächlich sagt, wird klar, dass genau diese Ästhetik nur gewollt sein kann. In vielen Texten hier spricht er von seinen Depressionen, seiner Antriebslosigkeit und dem damit verbundenen Unwillen, überhaupt weiter Musik zu machen. Viele dieser Songs sind extrem bedrückend und düster, aber vor allem sehr schoungslos und intim, ähnlich den jüngeren Mount Eerie-Platten. Was Earl dem jedoch noch hinzufügt, ist eine krasse Metaebene, in der sich die Wesensart dieses Albums äußert. Im Opener gibt es Zeilen, in denen er sich über seine eigene Unkreativität aufregt und meint, sein inneres Seelenleben sei sowieso nicht in Rap-Texten vermittelbar. Somit ist die Entscheidung, hier auch mittelmäßige Lyrics und halbfertige Songs zu veröffentlichen, im Endeffekt Teil seiner Therapie und beschreibt vielleicht am besten, wie schwierig es war, diese LP zu machen. Ganz davon zu schweigen, dass es auch erklärt, warum die Diskografie von Earl bis hierhin so ein schwieriger Fall war. Und es wäre definitiv falsch, Some Rap Songs deswegen als undurchdacht oder mittelmäßig zu diskreditieren. Auf der anderen Seite würde ich aber auch Lügen, wenn ich sagen würde, dass ich es gut finde. Dass ein bekannter Künstler wie er sich hier so verletzlich positioniert, ist ein großer, wichtiger Schritt und zeigt einen gesunden Umgang mit dem Thema Depression, doch bewundere ich dabei eher die Geste als das tatsächliche Ergebnis. Earl Sweatshirt macht hier ein schlechtes Album, weil er nicht die Kraft aufbringt, etwas größeres zu machen und das ist ja völlig okay. Es ist sogar beeindruckend, weil er den Schneid aufbringt, seinem Publikum genau das zu kommunizieren. Nur wäre es quatsch, deshalb zu sagen, dass es kein schlechtes Album ist. Es ist die eine Sache, wenn ein John Frusciante im suizidalen Heroinrausch die beste Musik seines Lebens macht und eine andere, wenn ein Künstler merkt, dass er offensichtlich gerade daran scheitert, ein professioneller Rapper zu sein. Some Rap Songs ist vielleicht die beste Art, der Welt zu zeigen, wie scheiße es ist, depressiv zu sein. Und es veranlasst mich, meine bescheuterten Ansprüche mal kurz zu vergessen, diesem Typen das beste zu wünschen und zu hoffen, dass er weiter seinen Weg geht. Musikalisch wie seelisch.






Persönliche Highlights: Red Water / the Mint / Loosie / Azucar / Riot

Nicht mein Fall: Cold Summers / December 24 / Playing Possum

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