Donnerstag, 6. Dezember 2018

Let England Break





















Als the Good, the Bad & the Queen vor elf Jahren ihr erstes gemeinsames Album veröffentlichten, war Damon Albarn noch ein Musiker, vor dem man extrem Respekt haben musste. Gerade ein gutes Jahr zuvor hatte er mit seinem Projekt Gorillaz Demon Days veröffentlicht, eine der in meinen Augen besten Platten aller Zeiten, er profilierte sich mit musikalischen Projekten in Mali und machte sich überall auf der Welt berühmte Freunde. The Good, the Bad & the Queen war damals, lange vor Afrika Express und Rocket Juice & the Moon, der erste Ausdruck dieser kreativen Partnerschaften. Mit Paul Siminon von the Clash und Tony Allen von Africa '70 waren hier zwei echte Legenden mit ihm gemeinsam unterwegs, doch gerade er selbst schickte sich an, nun selbst eine zu werden. Denn auch wenn seine Mitmusiker ganz wesentlich mehr Banderfahrung mitbrachten, der Chef hier war definitiv Albarn. Und das selbstbetitelte Debüt von 2007, obwohl musikalisch nur ziemlich okay, stellt für mich den Beginn seiner bis heute kreativsten und besten Phase Anfang der 2010er dar, in der großartige Alben wie Plastic Beach, Rocket Juice & the Moon oder Everyday Robots entstanden. Und es ist wichtig, weil ich mir diese Umtriebigkeit bei ihm heute manchmal wünschen würde. Der Damon Albarn von 2018 ist ein langweilig professioneller Routine-Komponist geworden, der sich zunehmend auf seine Wurzeln besinnen möchte und dabei mit der Nostalgie internationaler Musikfans ordentlich Kohle macht. Kreativ gesehen muss ich aber sagen, war sein Output selten schlechter. Das Blur-Comeback von 2015 war eine Katastrophe, die letzten Gorillaz-Platten frustrierten eher als zu begeistern und auch seine Gastauftritte und Kollaborationen sind einfach nicht mehr das, was sie mal waren. Und nachdem für mich als Fan somit zuletzt viele Grashalme bereits gebrochen wurden, erscheint die erneute Zusammenkunft dieser Band, die während der hyperaktiven Zeit höchstens als Randnotiz vorkam, schon ein wenig wie eine Verheißung. Was vor allem daran liegt, in welche Zeit sie ihr Zweitwerk gestellt haben. Wer den Vorgänger von damals kennt, weiß, dass es sich dabei um ein extrem politisches Album handelt, insbesondere was Großbritannien angeht. Albarn nutzte diese Kollaboration damals, um seinen Bericht zur Lage der Nation abzugeben, zu kritisieren und zu sticheln. Dass sie es genau jetzt zurück bringt, kann also kein Zufall sein. Denn dass Good Ol' England sich gerade in seinem vielleicht größten politischen Umbruch seit Jahrzehnten befindet, dürfte vielleicht aufgefallen sein. Und als jemand, der seine Heimat bereits seit den Neunzigern musikalisch bearbeitet und zuletzt keine Gelegenheit ausließ, die Brexit-Regierung öffentlich durch den Kakao zu ziehen, weiß Albarn, was zu tun ist. Folglich ist Merrie Land erneut ein sehr konzeptionelles Stück Musik und im Anbetracht seiner Thematik diesmal auch ganz schön düster. Gleich der eröffnende Titelsong ist eine schwermütige Ballade, in der der EU-Austritt von Großbritannien als dramatische Ehescheidung inszeniert wird, die langwierig und anstregend ist und auf die eigentlich niemand so wirklich Lust hat. Es ist einer der stärksten Tracks, die Albarn in den letzten Jahren geschrieben hat und es weist gleich zu Anfang sehr deutlich den Weg, in den dieses Album gehen wird: Im Gegensatz zu den musikalisch überbordenden Platten mit Gorillaz und Afrika Express ist Merrie Land klanglich extrem zurückhaltend, dafür aber umso größer in seinen Texten. Von allen bisherigen Projekten Albarns ist dieses hier mit sicherheit das bisher lyrischste und am stärksten inhaltlich fokussierte. Es kann passieren, dass man es deshalb zunächst langweilig findet, doch im gründlichen Zuhören und Verstehen der Songs entfaltet es das bis hierhin stets recht unterschätzte dichterische Talent seines Schöpfers. Thematisch geht es dabei um eine Menge Sachen, von Schlachten im ersten Weltkrieg über Sklaverei zur Kolonialzeit bishin zur schottischen Unabhängigkeitsbewegung. Viele Dinge, über die Albarn singt, versteht man dabei wahrscheinlich nur, wenn man selbst in Großbritannien lebt und die regionalen Geschichten und Besonderheiten kennt. Der rote Faden des ganzen bleibt aber immer die Enttäuschung über aktuelles Geschehen. Dabei ist Merrie Land keine Kampfansage, die den Kopf von Theresa May und Nigel Farage fordert (tatsächlich fällt auf dem gesamten Album nicht einmal der Name eines*r Politiker*in, geschweige denn das Wort 'Brexit'), sondern eher ein Trauermarsch. Wie immer kann Albarn nicht umhin, seinen geliebten Orte kleine Liebeserklärungen zu schreiben, doch hängt über allem diesmal ein Schleier des Misstrauens und der Entfremdung. Wie im Opener wird hier stets eine Verabschiedung formuliert, teilweise mit Zähneknirschen, aber bestimmt. Eine Verabschiedung vom bisherigen Status Quo, der zu zerfallen droht. Das letzte Wort ist gesprochen, die Zukunft wird finster. Man könnte sagen, dass dieses Album damit sehr drastisch und überemotional auf einen politischen Wandel reagiert, aber gerade das macht diese LP so faszinierend. Es bietet keine Draufsicht auf das Thema Brexit, sondern eine sehr persönliche und poetische. Und ich möchte sagen, dass es vor allem dadurch vielleicht die beste Platte ist, die Damon Albarn in den letzten fünf Jahren aufgenommen hat. Sie ist vielleicht nicht das gewohnte Feuerwerk, aber sie ist unglaublich komplex, feinfühlig, gesellschaftskritisch und vor allem eine relativ neue musikalische Dimension für ihn. Wo er zuletzt eigentlich immer maximal das machte, was man von ihm erwartete, ist er hier zum ersten Mal seit langem wieder überraschend und erforscht neue Gebiete seines Songwritings. Und wenn das bedeutet, dass er von nun an Alben macht, die man mitlesen muss, dann bin ich damit einverstanden. Es ist immerhin das beste Angebot, das er mir in den letzten Jahren gemacht hat.






Persönliche Highlights: Merrie Land / the Great Fire / Lady Boston / Drifters & Trawlers / the Truce of Twilight / Ribbons / the Last Man to Leave

Nicht mein Fall: -

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