Donnerstag, 20. Dezember 2018

2018: Fast geschafft


Ich bin immer etwas auf Kriegsfuß mit der Art von Posts, die andere Blogger*innen gerne "Honorable Mentions" nennen. Platten also, die cool waren, aber es nicht ganz in die jeweiligen Bestenlisten geschafft haben. Eine Prozedur, die in meinen Augen eigentlich ziemlich betrügerisch ist. Für mich war es immer ganz oder gar nicht: Man mag das Ding, oder man lässt es halt sein. Und in den meisten Fällen reichten da auch immer 30 Plätze, um die gesamte Vielfalt einer musikalischen Saison zu repräsentieren. Nicht so 2018. Dieses Jahr war das Jahr, in dem es zusehends schwierig wurde, konkrete Unterscheidungen zu machen und in dem die Grenzen dessen, was der Begriff "Album" bedeutet, verwischt wurden. Das ist aber nur ein Grund, warum es Releases gab, die nun hier stehen und nicht unter meinen besten Dreißig. Ein Plädoyer an dieser Stelle für die noblen Verlierer:

KANYE WEST
Ye

Gleich eines der besten Beispiele am Anfang: Das neue Album von Kanye West ist verdammt gut, sicherlich das beste Soloprojekt des Rappers seit langem. Mit gerade Mal 23 Minuten ist es aber definitiv zu kurz, um wirklich seine gesamten Möglichkeiten zu nutzen und gibt lediglich einen Einblick in die künstlerische Mission, die Kanye hier hat. Wäre Ye 30 oder 40 Minuten lang gewesen, es wäre mit sehr wahrscheinlich in der richtigen Liste gelandet, trotz aller Kontroversen, die es mit sich zieht. So ist es aber nur ein Blick durchs Schlüsselloch anstatt des ganzen Bildes. Was übrigens nicht heißt, dass das für alle Einträge aus Kanyes 2018er-Plattenserie gilt. Man darf gespannt bleiben.




HAWKWIND
Road to Utopia

So herrlich bescheuert, wie Road to Utopia mit seinen Mariachi-Bläsern, dem Disney-Orchester und den albernen Showtune-Nummern daherkommt, kann man es einfach nur lieben. Es ist erstaunlich, wie eine Band, die gute 50 Jahre Karriere auf dem Buckel hat und eigentlich nie zu den progressiveren Rockgruppen gehörte, hier so ein verspieltes, ulkiges und selbstironisches Album aufnimmt. Und klar ist das auch manchmal ein bisschen peinlich, aber allein die Idee ist es wert, sie zu feiern. So sehr, dass Road to Utopia wenn schon nicht zu den besten, dann immerhin zu den markantesten Longplayern 2018 gehört.





DEAFHEAVEN
Ordinary Corrupt Human Love


Mit Sunbather und New Bermuda haben Deafheaven in den letzten fünf Jahren zwei der besten Metal-Platten des neuen Jahrtausends gemacht und in dieser Zeit habe ich keine Gelegenheit gescheut, sie dafür auf Händen zu tragen. Der Fan in mir und die Überzeugung, dass Ordinary Corrupt Human Love an sich ja auch ziemlich gut ist, gebieten es mir, sie deshalb an dieser Stelle zu nennen. Die Kalifornier sind weiter sehr gut, sie waren aber auch schon mal besser. Und ich wäre einfach nicht ehrlich, würde ich behaupten, diese Platte wäre einer meiner Favoriten des Jahres 2018. Außerdem erspare ich mir mit diesem Eintrag gleich im Voraus die blöden Fragen...




ODD COUPLE
Yada Yada

Odd Couple haben deutschsprachige Rockmusik 2018 wesentlich vorangebracht und es wäre Quatsch, ihnen dafür nicht den gebührenden Respekt angedeihen zu lassen. Yada Yada atmet die Krautrock-Tradition der Siebziger und transportiert sie wirkungsvoll in die Lebensrealität der Generation Späti, donnert Retro-Bezüge auf und ist am Ende nicht weniger Zeitgemäß als Bilderbuch oder Haiyti, und das als Rockplatte. Aber ist es wirklich durchgehend gut und hat es immer noch die gleiche Strahlkraft wie zur Veröffentlichung im März? In meinen Augen nicht wirklich. Deshalb auch dieses Jahr nochmal Ersatzbank. Aber ich hoffe weiter, dass Odd Couple ihr bestes Album noch vor sich haben.



THE GOOD, THE BAD & THE QUEEN
Merrie Land


Merrie Land ist ein bisschen wie die englische Version von House of Cards: Eigentlich extrem gut, aber in den vollen Genuss kommt man auch nur dann, wenn man die ganzen komplexen Zusammenhänge kennt und selbst aus Großbritannien kommt. Damon Albarn besingt mit seiner Allstar-Gruppe hier die Tragik des momentan laufenden Brexit, als wäre es der Tod eines Familienangehörigen und obwohl das alles sehr emotional ist und er hier so tolle Texte schreibt wie ewig nicht mehr, ist das ganze am Ende doch sehr eine Platte zum Zuhören, am besten mit Lexikon und einem Handbuch zu britikscher Lokalhistorie in Griffweite. Und das kann für Otto Normalverbrauchende*n dann doch etwas enervierend werden.



THE SCREENSHOTS
Europa LP

Die Screenshots waren im Frühjahr diesen Jahres meine Helden, wie als post-satirische Deutschrock-Visionäre aus der Twitter-Blase ihrer Mitglieder Kurt Prödel, Dax Werner und Susibumms aufstiegen und mit Ein starkes Team ihre erste Mini-LP veröffentlichten. Zusammen mit der neueren zweiten Platte Übergriff fusionieren sie nun zur Europa LP und, ja nun, es hat sich bei mir inzwischen ein bisschen ausgeshootert. Teil Eins wurde im Laufe des Jahres doch sehr schnell sehr alt und in Anbetracht dessen, dass Übergriff mit von vornherein nicht so wirklich mitreißen konnte, sind die Screenshots zwar noch immer ein cooles Projekt, aber ihre Musik eher wie ein echt guter Witz, der inzwischen ein paarmal zu oft erzählt wurde. Auf keinen Fall aber einer meiner Favoriten in diesem Jahr.


CHRISTINA AGUILERA
Liberation

Wenn man mich fragt, dann ist Christina Aguilera mit Liberation 2018 das Comeback des Jahres gelungen. Nicht nur kommt sie mit einem Knall aus ihrem Karriere-Sumpf der letzten zehn Jahre heraus, sie ist hier auch noch tausendmal besser als jemals zuvor. Die Songs hier klingen erwachsen, vielseitig, intelligent und neben den offensichtlichen Hits finden sich viele kleine klangliche Perlen, die man von Aguilera eigentlich nie erwartet hätte. Wäre da nicht die etwas pretenziöse Art vieler Texte und eine ganze Reihe ziemlich überflüssiger Zwischenrufe, Liberation wäre einer meiner Favoriten der Saison. So will ich die Platte wenigstens noch mal außer der Reihe empfehlen.



JUSE JU
Shibuya Crossing

Noch ist es nicht so weit, Juse Ju einen Titel wie "der Kendrick Lamar des Deutschrap" zu verpassen, aber was er auf Shibuya Crossing macht, bringt einen zumindest auf solche Ideen. Was fehlt ist der konzeptuelle Charakter, die durchgehende Ernsthaftigkeit und das Setting, aber rein von seinen Fähigkeiten als Texter kann  der Schwabe diese fast schauspielerische Art von Storytelling. Und obwohl seine Geschichten nicht aus Compton kommen, er nur Skater statt Gangster war und es hier auch immer mal wieder Blödsinn zu hören gibt: Die Erzählweise an sich ist extrem packend und äußerst charismatisch. Womit Shibuya Crossing zumindest schonmal den Titel "Mein liebstes Deutschrap-Album 2018" sicher hat.




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