Dienstag, 11. Dezember 2018

Geschafft!




















Dass Mumford & Sons vor neun Jahren als völlig unschuldige Band mit ihrem völlig unschuldigem Debütalbum Sigh No More das letzte Stadium der Mainstream-Zersetzung der Indiefolk-Bewegung in Gang setzen würden, hätten den armen Strolchen damals sicherlich die wenigsten sagen können. Eigentlich wollten sie ja nur eine traditionelle LP aufnehmen, die etwas schmissiger war als die Sachen der Fleet Foxes und zu der man tanzen konnte und plötzlich waren sie richtige Popstars. Na gut, ganz so drastisch war es vielleicht auch nicht ganz. Sicher, sie waren schon damals nicht umsonst bei Island Recordings unter Vertrag und eine Hymne wie Little Lion Man war ganz bestimmt kein Zufall, aber gerade das kommerzielle Ausmaß der folgenden Jahre war wesentlich größer als selbst von den geifernden Labelbossen erwartet. Die größtenteils akustisch agierende Gruppe sah sich auf einmal damit konfrontiert, mit ihrer schmalspurigen Musik Stadien zu füllen und radiotaugliche Hits zu produzieren, die für Fernsehwerbung genauso gut funktionierten wie für rustikale Post-Indie-Atmosphäre. Eine Aufgabe, an der wir Mumford & Sons fast die komplette letzte Dekade scheitern sehen haben. In meinen Augen verständlicherweise, denn bereits nach Sigh No More herrschte in der Musikwelt ein ziemlich falscher Eindruck von dieser Band. Nicht alle Songs auf dem Debüt waren so fett und gepfeffert wie die großen Hits und in vielerlei Hinsicht war das hier eine klassische Folk-Gruppe. Aber plötzlich wollten eben alle diese fetzigen Nummern, die sie nun auch versuchten, zu liefern. Ihr zweites Album Babel wurde dadurch trotz eines durchweg guten Songwritings nicht selten etwas krampfig und man spürte hier den Versuch, mit so gut wie jedem Track das Mirakel des Little Lion Man zu wiederholen. Dass unterm Strich dabei vor allem eine ausgelaugte Band stand, sollte also nicht verwundern. Und das war noch nicht mal das schlimmste: Ohne originelle kompositorische Ideen und mit dem Ruf im Nacken, für eine Invasion mieser musikalischer Klone gesorgt zu haben, war es schwierig, den Faden erstmal wieder zu finden. Die logische Folge daraus war drei Jahre später ein ziemlich vergeigter Neustart. Wilder Mind von 2015 versuchte, die Briten als elektronisch infizierten Poprock-Act neu zu positionieren, der die Stadion-Atmosphäre des Debüt-Sounds mit dem epochalen Bombast von Imagine Dragons oder Coldplay zu vereinen suchte. Ein ahnbarer Flop, der die letzte Ernsthaftigekeit aus ihrer Musik verbannte und auch finanziell ziemlich krachen ging. Nach Wilder Mind sah es so aus, als wären Mumford & Sons in die kompositorische Irrelevanz abgedriftet. Aber gerade auf diesen Moment scheinen sie seitdem gewartet zu haben. Denn genau diese Band zu sein, bietet für sie nun entscheidende Vorteile. Zum einen ist der immense Erwartungsdruck fast zehn Jahre nach Little Lion Man endlich verschwunden, zum anderen wissen die verbliebenen Fans nun wenigstens, dass Mumford & Sons jene Musiker, die sie 2009 waren, nicht mehr sein wollen. Die Fronten waren also geklärt, als sie sich an die Arbeit zu Delta machten. Dem Album, auf dem die Wunden langsam zu heilen anfangen. Dem Album, auf dem man sie wieder ernst nehmen kann. Dem Album, auf dem sie zum ersten Mal seit Sigh No More wie eine Band klingen, die einzig sich selbst verpflichtet ist. Diese LP ist für die Briten das, was vor einigen Jahren Walls für die Kings of Leon, Revolution Radio für Green Day und Beautiful People Will Ruin Your Life für die Wombats war: Die entschlackte Platte nach der Verantwortung. Ein Tonträger, der ganz klar eine stilistisch veränderte Gruppe präsentiert und selten so gut ist wie das Material vor dem großen Durchbruch, aber sich wesentlich ehrlicher anfühlt. Kein Fanservice, keine Provokation, keine durchgestylten Stilbrüche. Bands, die auf diese Weise über den Berg kommen, sind häufig die Gewinner im Kampf gegen den eigenen Erfolg. So auch Mumford & Sons. Delta spielt weiterhin mit der Mischung aus Stadionrock, Neo-Folk, Indiepop und EDM, die man schon auf Wilder Mind hörte, doch bekommt dieser hier einen gewissen Charakter. Guiding Light, Woman und the Wild sind fantastische Songs, die ein völlig neues Selbstverständnis der Briten präsentieren, woanders nehmen sie sich Einflüsse von Bon Iver, Peter Gabriel oder Alt-J mit. Es ist nicht ganz klar, was genau sie hier machen, stilistisch findet das ganze irgendwo in der Grauzone des modernen Mainstream-Rock statt, der eigentlich bloß noch EDM mit Gitarren ist. Was aber viel wichtiger ist, ist dass sie mit dieser Musik sehr zuversichtlich umgehen und tatsächlich tolle Stücke damit fabrizieren. Nach dem völlig uninspirierten Vorgänger ein Szenario, das ich im Traum nicht erwartet hätte. Und sicher, sie waren mal besser, aber was wäre bitte die Alternative? Mumford & Sons als irgendwann mal cool gewesene Kirmesrock-Kapelle, die bis in alle Ewigkeit ihren größten Hit covert? Na also. Manchmal ist das bessere ja auch der Feind des guten. Und verdient hat diese Band es sich. Sie mussten die letzten zehn Jahre echt genug durchmachen.






Persönliche Highlights: Guiding Light / Woman / the Wild / If I Say / Wild Heart / Forever / Delta

Nicht mein Fall: Picture You / Darkness Visible

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