Freitag, 21. Dezember 2018

2018: Vermischtes


Nicht alle Nuancen und Eigenschaften, Höhen und Tiefen, die mein musikalisches Jahr hatte, kann ich in irgendwelchen Listen ausdrucken und es gibt Dinge, die manchmal mehr über eine*n Musiker*in aussagen als die Qualität seiner Platten. Für diese und andere Zwecke habe ich diesen Post hier vorbereitet, in dem ich für ganz verschiedene Attribute Shoutouts geben will, sowohl gute als auch schlechte. Um abseits von LP-Besprechungen mal loszuwerden, was mich in dieser Saison musikalisch beschäftigt hat.



> Persönlichkeit des Jahres
> ARIANA GRANDE
Ihre neue Platte fand ich im Herbst ehrlich gesagt ziemlich dürftig, aber darum soll es an dieser Stelle ausnahmsweise mal nicht gehen, sondern darum, was für eine engagierte und besonnene Prominente Ariana Grande 2018 war. Der Tod ihres Ex-Partners Mac Miller und andere private Rückschläge machten diese Saison nach den Anschlägen in Manchester 2017 erneut zu einer schwierigen Phase für sie, doch ich bin immer mehr begeistert davon, wie verantwortungsbewusst sie diese tragischen Umstände in der Öffentlichkeit schaukelt. Vielleicht hat sie sich damit in diesem Jahr nicht so politisch in Szene gesetzt wie (mal wieder) Feine Sahne Fischfilet oder Idles, aber ist als Mainstream-Künstlerin menschlich tatsächlich mal ein Vorbild gewesen. Und gemessen an dem vielen Hass, der ihr momentan entgegen schlägt, will ich hier mal eine Lanze für die Frau brechen. Sie macht das beste draus.

> Arschloch des Jahres
> 6IX9INE
Ich könnte jetzt all die Dinge aufzählen, die bei diesem Rapper 2018 nicht nur grenzwertig, sondern sehr tief im roten Bereich waren und aufgrund derer er viel Häme eistecken muss. Viel wichtiger ist mir allerdings die Frage: Warum hat jemand wie er trotzdem noch immer einen so hoch dotierten Plattenvertrag, verkauft tonnenweise Alben und wird von Leuten wie Nicki Minaj oder den Migos unterstützt? Eine Sache, die ich sicherlich auch nicht einfach lösen kann. Für mich war es diese Saison konsequent genug, einfach keines seiner Alben zu besprechen und ihm somit nicht aktiv eine Plattform zu geben. An dieser Stelle wollte ich ihn dann trotzdem unbedingt nochmal nennen.

> Band des Jahres
> SUPERORGANISM
Was an dieser Band so ganz besonders faszinierend ist, ist tatsächlich nicht ihre Musik im eigentlichen, sondern ihre gesamte Struktur, die im musikalischen Kontext definitiv den Begriff postmodern verdient hat. Die acht Mitglieder der Formation kommen fast alle aus verschiedenen Orten rund um den Globus und sind damit sicherlich die erste mehr oder weniger bekannte Gruppe, die von Anfang an auf das Internet als Kommunikations- und Songwriting-Medium vertraut. Zwischen Südkorea, London, Neuseeland, Australien und Japan bilden Superorganism damit das Äquivalent ihres Namens, der dieses Jahr dann auch sein erstes Studioalbum fertig gestellt hat. Der Brüller war das zwar am Ende nicht, faszinierend ist die Arbeit dieser Band trotzdem.


> Arbeitstier des Jahres
> KANYE WEST
Ganz klar und außer Konkurrenz. Sein diesjähriger Output umfasst unter anderem eine neue Solo-LP, eine Kollaboration mit Kid Cudi, drei von ihm produzierte Langspielplatten, diverse Features und einen Twitter-Account, der mit viel Abstand als Kunstperformance durchgeht. Ganz zu schweigen vom ominösen Yandhi, das am Ende vielleicht doch kein totaler Fake ist. Und weil ein Kanye West nicht einfach so Platten macht, gehört eine Reihe seines diesjährigen Oeuvres auch zun den Highlights der Saison und mit einem hat er seine Musik sogar teilweise neu definiert. Dass er dabei 2018 noch kontroverser und noch ekelhaft bescheuerter war als sonst, gehört da in meinen Augen dazu. Die Kunstfigur Kanye gönnt sich eben keine Pause. Sicherlich auch 2019 nicht.

> Newcomer des Jahres
> PRESS CLUB
Im Januar 2019 erscheint das Debüt der AustralierInnen Press Club zum ersten Mal auch in Europa, weshalb man hierzulande definitiv noch von einer Entdeckung sprechen kann. Dass es diese Verzögerung gibt, ist aber nicht schlimm, da wir a) nicht mehr in den Achtzigern leben und es wunderbare Dinge wie Bandcamp gibt und b) Press Club zu aller erst eine Liveband sind. Und als solche versprühen sie auch ihre bisher größte Faszination. Natalie Foster ist die charismatischste Sängerin, die ich seit langem in einer Rockband gesehen und gehört habe und gemeinsam mit ihren drei Backups ziemlich gewaltig rockröhrt. Wer die Kings of Leon, Hop Along oder Pearl Jam gut findet, wird sich für diese Gruppe unter Garantie interessieren.

> Beste Platte, die 2018 alle doof fanden
> Nicki Minaj-Queen
Zugegeben, ein Geniestreich war Queen jetzt nicht wirklich, aber auch nicht so ein kompletter Totalschaden, wie viele behaupten. Nicki Minaj zeigt sich hier durchaus kreativ und findet eine vernünftige Balance zwischen Mainstream-Anspruch und Rap-Credibility, vor allem aber ist sie als Künstlerin so bissig wie lange nicht mehr. Wenn man die LP danach beurteilt, was sie an deftigen Ansagen zu bieten hat, kommt sie auf keinen Fall zu kurz und zumindest ich meine, dass das eine sehr wesentliche Stärke dieses Albums ist. In Zeiten, in denen der Trend im Hiphop auf emotionale Softie-Musik abzielt, ist es großartig, mit Minaj hier eine Stimme zu hören, die nach wie vor auf Krawall gebürstet ist.

> Mieseste Platte, die 2018 alle geil fanden
> Sophie-Oil of Every Pearl's Un-Insides
Dass ich es feiern würde, dass diese LP 2019 vielleicht einen Grammy (!) bekommen könnte, liegt nur daran, dass Sophie die erste Transperson wäre, die diesen Preis erhalten würde. Wenn es um das eigentliche Album geht, könnte sie mir nicht egaler sein. Oil of Every Pearl's Un-Insides ist die halbgare Entschuldigung von einem Album, das eigentlich nur eine Compilation der Singles ist, die die Britin in den letzten zwei Jahren veröffentlicht hat. Und die sind nicht mal besonders gut. Von all den ehemaligen Jünger*innen des PC Music-Labels war sie mir schon immer die unliebste, leider ist sie inzwischen aber die einzige geworden, an die man sich überhaupt noch erinnert.



> Enttäuschung des Jahres
> Arctic Monkeys-Tranquility Base Hotel & Casino
Wirklich hundsmiserabel war die neue Platte der Arctic Monkeys dieses Jahr ja eigentlich gar nicht. Es ist eher die Fallhöhe, die Tranquility Base... zu einer solchen Enttäuschung macht. Wenn die Band aus Sheffield bisher eines immer hatte, dann war das Charakter, kompositorische Schärfe und der Wille, mit ihrer Musik etwas auszusagen, was zur folge hatte, dass sie zu Recht einer der wenigen tatsächlich relevanten Rock-Acts des neuen Jahrtausends waren. Hier hingegen werden sie zu den Teppichknüpfern eines äußerst uninteressanten Sounds, der an sich vielleicht neu ist, aber ihre Songs dynamisch in die Gefilde wankelmutigen Chillwave-Geblubbers manövriert, dem durchweg die Energie fehlt. Ein einschläferndes Album, das wenig von einer der spannendsten Rockbands der letzten Jahre übrig lässt.

> Positive Überraschung
> Christina Aguilera-Liberation
Vor 2018 war mir Christina Aguilera mehr oder weniger komplett egal, mit Ende des Jahres sehe ich in ihr eine der interessantesten Ex-Popstars, die sich gerade wieder richtig aufrappeln und bei denen es nochmal richtig turbulent werden könnte. Ihr Comeback-Album Liberation klingt frisch, intelligent und vielseitig und die R'n'B-Diva von einst ergänzt sich hier fabelhaft mit jungen KünstlerInnen wie Goldlink, Ty Dolla $ign oder Demi Lovato. Das Ergebnis ist am Ende nicht nur im Verhältnis zu ihrer kreativen Flaute in den letzten zehn Jahren ein dickes Plus, es ist auch allgemein eines der spannenderen Pop-Projekte der Saison geworden.

> Beste Kollaboration
> UNDERWORLD & IGGY POP
Was zunächst nach einer echt schrägen Idee klingt, war 2018 vor allem für die künstlerische Persönlichkeit Iggy Pop eine ganz besondere Zusammenarbeit. Untermalt von Techno-Gewand des britischen Duos wird der Punk-Großvater hier zum Erzähler, der Weisheiten aus fast 50 Jahren Rockzirkus aus erster Hand zum besten gibt, mit jeder Menge ulkigem Humor und Selbstironie. Schon ein paar Jahre geht es bei ihm nun künstlerisch wieder bergauf, das hier jedoch war mein bisheriges Highlight. Und ich kann nur hoffen, dass er darin Inspiration für künsftige Projekte findet.

> Comeback des Jahres
> CHRISTINA AGUILERA
Ähm, ja. Siehe oben.

> EP des Jahres
> Code Orange-the Hurt Will Go On
Schon seit Ewigkeiten hoffe ich auf die Platte, die mich Code Orange endlich auch so lieben lehrt wie den Rest der Welt. Dieses Jahr haben nur drei Songs gereicht. The Hurt Will Go On ist unter den finstersten Stücken Musik, die ich 2018 die Freude hatte, zu hören und findet darin eine unglaubliche Kraft. Unfassbar hektisch, mit vielen Industrial-Anleihen und mit spannenden Glitch-Einflüssen klingen die Amerikaner hier so extrem wie selten zuvor und überzeugen in jeder Sekunde. Sogar Slipknot-Frontmann Corey Taylor macht als Gastsänger eine richtig gute Figut. Jetzt müssen sie das nur noch auf LP-Format übertragen.

> Schlechtestes Album
> Voivod-the Wake
Es gab dieses Jahr eine ganze Reihe von Platten, die ungewöhnlich scheiße war und sogar jemandem wie mir, der generell sehr wohlwollend Musik hört, übel aufgestoßen sind. Und niemand war damit so radikal wie die Kanadier von Voivod. Als eine weitere Metal-Institution gehen sie hier den Weg von Megadeth und Metallica, die in den letzten Jahren auch extrem peinlich geworden sind, nur dass es ihnen nicht genügt, dabei langweilig und ein bisschen altklug zu sein. The Wake ist verschwörerischer SciFi-Blödsinn, der sich auf pseudo-experimentelle Thrash-Grütze stützt, die furchtbar komponiert, komplett unfokussiert umgesetzt und grottenschlecht produziert ist. Diese LP ist nicht nur klanglich völlig ungenießbar, sondern schon im Ansatz eine Katastrophe. Und mit einer Stunde Spielzeit auch noch heillos überdimensioniert.

> Beste Texte auf einer Platte
> Mount Eerie-Now Only
Es gab dieses Jahr viele gute lyrische Platten, ob politisch motiviert bei Damon Albarn und Idles, humorvoll bei Mark Kozelek oder persönlich, wie bei Florence Welch und NoName, aber Phil Elverum lässt mich nicht los. Now Only anzuhören ist wie den zweiten Teil eines sehr guten Buches zu lesen und Dinge wiederzufinden, die einen immer wieder emotional werden lassen. Und wo A Crow Looked at Me das Album der Trauer war, ist dieses hier das Prequel mit den Erinnerungen, in denen Elverum die schönen Momente aufzeigt. Als Konterpart zum Vorgänger also unglaublich faszinierend.

> WTF-Platte des Jahres
> Hawkwind-Road to Utopia
Hawkwind haben inzwischen gut 50 Jahre Bandgeschichte auf dem Buckel und in dieser Zeit eigentlich immer sehr klassisch ihren Hard- und Bluesrock-Stiefel gespielt. Dass sie 2018 ein orchestrales Selbst-Cover-Album mit Mariachi-, Swing- und Musical-Einflüssen aufnehmen, kommt also ziemlich aus dem Nichts. Dabei ist Road to Utopia kein so öder Verklassikungs-Versuch wie ein S&M von Metallica, sondern tatsächlich ein unfassbar kreatives Unterfangen mit sehr vielen Überraschungen, illustren Gästen und Stil-Hakenschlägen, die ich bei dieser Band nie zuvor für möglich gehalten hätte. Der erste Schock weicht aber schnell der Begeisterung, denn tatsächlich ist diese Platte nicht nur sehr ungewöhnlich, sondern auch ziemlich gut.

> Songzeile des Jahres

"Es heißt Soße nicht Soose!" - Marsimoto, Verde

Und hier noch ein paar weitere Nennungen:

> Popsong des Jahres: Ariana Grande-No Tears Left to Cry

> Traurigste Platte: Mount Eerie-Now Only

> Fettester Rocksong: the Smashing Pumpkins-Solara

> Fettester Rap-Banger: A$ap Ferg-Verified

> Baller-Album des Jahres: Turnstile-Time & Space

> Finsterste Platte: Code Orange-the Hurt Will Go On

> Bestes Albumkonzept: Tocotronic-Die Unendlichkeit

> Coverversion des Jahres: Ty Segall-Every 1's A Winner (Original von Hot Chocolate)

> Bester Hiphop-Beat: DJ Muggs & MF Doom feat. Freddie Gibbs-Death Wish (Beat von DJ Muggs)

> Politischer Track des Jahres: Idles-Danny Nedelko

> Beste Singer-Songwriter-Platte: Tony Molina-Kill the Lights

> Schlechtester Song des Jahres: A$ap Ferg feat. Elle Fanning-Moon River

> Bester Drummer: Justin Tyson (R+R=Now)

> Bester Bassist: Nick Gauthier (Harms Way)

> Bester Gitarrist: Aaron Turner (Sumac)

> Beste Sängerin: Julia Holter

> Beste Produktion: Nine Inch Nails-Bad Witch (produziert von Trent Reznor und Atticus Ross)

> Bester Soundtrack: Thom Yorke-Suspiria (Music for Luca Guadagnino Film)



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