Sonntag, 16. Dezember 2018

Ambition Makes You Look Pretty Ugly





















Wenn meine sich über das gesamte Jahr 2018 hingezogene stetige Verzögerung in der Aktualität von Besprechungen sich für eines gelohnt hat, dann dafür, dass ich zum Zeitpunkt meiner Posts meistens schon weiß, wie das Echo auf eine bestimmte neue Platte in den letzten ein bis zwei Wochen gewesen ist. Ob die Leute eine Platte mögen, ob ein Shitstorm passiert ist, ob sie kommerziell erfolgreich war oder nicht, oder ob sie dem Großteil der Menschen einfach nur egal war. Im Falle von A Brief Inquiry Into Online Relationships war diese Reaktionszeit ganz besonders wichtig, denn wäre ich zum Release-Termin am 23. November pünktlich gewesen, hätte ich dieses Album sicher komplett links liegen gelassen. Es hätte für mich schlichtweg keinen gescheiten Anlass gegeben, aus meiner gesunden Ignoranz-Haltung gegenüber the 1975 auszubrechen, die ich mir bis dahin erarbeitet hatte: Ihre beiden ersten Platten waren eine wie die andere extrem langweilig und das, was ich mir an Singles für die neue LP anhörte, klang für mich nach dem peinlichen Versuch, ein bisschen Online-Buzz und PR-Relevanz für den eigenen Namen zu schinden. Sich A Brief Inquiry... anzuhören, schien im Vorfeld also eher wenig ratsam, weshalb ich es garnicht erst einplante. Doch nachdem das Ergebnis einer enervierenden und elend langen Promophase nun endlich doch das Licht der Welt erblickte, überschlug sich allerorten die Berichterstattung: Ihr eigenes OK Computer sollen die Briten hier gemacht haben, das beste Album von ganz 2018 und ein musikalisches Porträt der Generation Snapchat. Ja nun. Wenn in Zeiten der medialen Reizüberflutung, in der fast täglich großartige Platten erscheinen, Profis wie Pitchfork und Stereogum solche Kaliber loslassen, muss an der Sache ja was dran sein. Und in gewisser Weise kann ich das auch bestätigen. A Brief Inquiry... bemüht sich sichtlich, vom gemütlichen Kuschel-Konsenspop der ersten beiden 1975-Alben wegzukommen und auch inhaltlich ein bisschen aufzustocken. Die zahme Boyband, die sie bis dato waren, hat die Gruppe aus Manchester hier ins Nirvana verbannt und erfindet sich als nachdenkliche, kritische Pop-Visionäre neu. In der Theorie tatsächlich ein bisschen so wie Radiohead in den Neunzigern. Mit dem einzigen Unterschied, dass the 1975 dabei noch immer jeglicher Tiefgang fehlt und ihr sogenannter "Intellektueller Pop" ziemlich pretenziöser Blödsinn ist. Wenn diese LP irgendetwas mit OK Computer zu tun hat, dann dass sie zeigt, wie falsch die Idee von OK Computer noch 20 Jahre danach verstanden werden kann. Einen Track mit gruseligen Klavierharmonien und einer Roboterstimme zu machen, der klingt wie Fitter Happier, macht einen noch lange zum Systemkritiker und anderen komische Titel wie TooTimeTooTimeTooTime oder How to Draw/Petrichor zu geben, macht einen nicht zum großen Künstler. Was hier ganz klar fehlt, ist die Substanz eines tatsächlichen Statements, die stringente klangliche Umsetzung und Musik, die über ein reines Hörerlebnis hinausgeht. Ich habe dabei keineswegs ein Problem damit, dass the 1975 konventionelle Popsongs schreiben, ehrlich gesagt sind diese Elemente sogar das beste am Album. Stücke wie It's Not Living (If It's Not With You), Mine oder I Always Wanna Die haben wenigstens Ohrwurm-Potenzial, auch wenn sie am Ende nicht mehr sind als die kitschigen Beziehungs-Schnulzen, die die Briten schon immer geschrieben haben. Wäre das die Zielstellung der Band gewesen, hätte A Brief Inquiry... vielleicht ganz vernünftig klingen können. Stattdessen aber wollen the 1975 hier unbedingt ein Album machen, das die Welt verändert und beißen sich daran die Zähne aus. Es gibt hier sehr gelungene, auch durchaus experimentelle Momente, die zeigen, dass es ihnen mit ihrer Musik ernst ist und sie weiter gehen wollen als die Justin Biebers dieser Welt. Es gibt aber ebenso viele Stellen, in denen diese Metamorphosen extrem krampfig oder verkürzt daherkommen, beziehungsweise auch einfach dreist geklaut sind. Außerdem ist die Kreativität hier zwar durchaus da, aber immer nur in Blitzlichtern. Statt sich auf Elemente zu konzentrieren, die sich vielleicht wiederholen, eine Ästhetik ausmachen oder ein inhaltliches Narrativ bilden, lassen the 1975 Ideen nur kurz aufploppen, um dann wieder komplett andere aufzubauen. So entstehen Songs, in denen sie halbironisch an Take That erinnern, dann vielleicht ein Gothrock-Monolith wie Inside Your Mind, ein komplett ambient-abstraktes Klanggebilde wie Petrichor und das lauwarm-politische I Like America & America Likes Me. Für sich sind die meisten Tracks dabei nicht übel, nur machen sie A Brief Inquiry... als Gesamtwerk zu einem totalen Wurstgewitter von Einflüssen, das eher chaotisch und unfokussiert wirkt als kreativ und vielfältig. Es ist damit trotzdem noch wesentlich besser als die ersten beiden 1975-Alben und wenn die Briten den hier erschaffenen Sound mal ordentlich durchsieben, ließe sich sowas wie eine klangliche Ästhetik aufbauen, aber von einem Geniestreich ist das hier sehr weit entfernt. Ein Porträt der modernen Popkultur ist es vielleicht insofern, das es klingt wie die Spotify-Discovery-Liste eines mitteleuropäischen Teenagers, der glaubt, die Welt besser zu verstehen, indem er sehr oft das neue Album von Lorde hört. Heißer Tipp an dieser Stelle: Hör doch mal OK Computer von Radiohead, das ist 20 Jahre alt und immer noch gruselig aktuell. Nein, du wirst dich danach nicht besser fühlen, aber es wird die Erfahrung wert sein.






Persönliche Highlights: the 1975 / I Like America & America Likes Me / The Man Who Married A Robot/Love Theme / Inside Your Mind / It's Not Living (If It's Not With You) / Mine / I Couldn't Be More in Love / I Always Wanna Die (Sometimes)

Nicht mein Fall: Give Yourself A Try / TooTimesTooTimesTooTimes

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