Montag, 3. Dezember 2018

Der Adler ist gelandet





















In der kurzen Zeit, in der Charles Bradley zum Ende seines tragischen Lebens doch noch zum Shooting Star der Soul-Szene wurde, hatte er stets etwas von einem Zeitreisenden. Jemand wie er, der seine Musik auch im 21. Jahrhundert noch genauso machte wie die großen Motown-Epigonen Ende der Sechziger und dabei mit seiner tiefen Emotionalität so wenig von einem abgeklärten Profimusiker hatte, war definitiv eine Besonderheit in der übersättigten Pop-Landschaft. Mit seiner von Missgeschicken und Rückschlägen gepflasterten Biografie und der anklagenden, leidenden Stimme war er jemand, der den Begriff Soul lebte wie wenige und der seine Songs nicht als ausgefuchstes Kunstprodukt verstand, sondern als Katharsis und Selbsttherapie. Statt Innovation setzte er auf innere Reinigung, was nicht unwesentlich dafür sorgte, dass jenes Material aus der bedauerlicherweise viel zu kurzen Periode vor seinem Ableben im letzten Jahr nicht weniger als grandios war. Lediglich drei Alben veröffentlichte er zu Lebzeiten, diese jedoch waren echte Rohdiamanten klassischer Soulmusik und wenigstens hatte man dort den Eindruck, dass Bradley als glücklicher Mensch starb, der das Tat, was er immer am meisten liebte. Weshalb auch sein erster posthumer Longplayer jetzt durchaus unter einem besonderen Zeichen steht. Black Velvet, so der ehemalige Stage Name des "Screamin' Eagle", ist proforma vielleicht nicht mehr als eine Sammlung übrig gebliebener Tracks und Aufnahmen aus den letzten Jahren. Bei jemandem jedoch, der so lebendige Musik zu machen pflegte wie er, fällt es mir schwer, diese nüchterne Betrachtung so zu akzeptieren. Ich hasse diese Formulierung, doch wenn man diese zehn Tracks hört, ist es tatsächlich ein bisschen, als wäre Bradley wieder am Leben. Seine Performance ist so unglaublich präsent und energisch, dass man meint, man würde im Studio inmitten der Band sitzen und zuhören, wie er einem direkt in die Kopfhörer singt. Auch seine früheren Platten hatten diese Eigenschaft, doch hier bekommt sie erstmals eine besondere Bedeutung. Noch dazu deshalb, weil Black Velvet in seiner gesamten Diskografie sicherlich das am wenigsten schwermütige Album ist. Songs wie Can't Fight the Feeling, Fly Little Girl oder der Titeltrack sind wirklich schmissige, triumphale Nummern, die man von Bradley so noch gar nicht kannte und die kein bisschen weniger überzeugen als seine Balladen. Aber auch wenn diese hier weniger geworden sind, hauen sie trotzdem noch ordentlich rein: I Feel A Change ist wie so oft bei diesem Typen Weltschmerz-Soul in Formvollendung, die leicht abgeänderte neue Version von Victim of Love ist noch ein bisschen krasser als die alte und (I Hope You Find) the Good Life verliert auch mit einigen elektronischen Elementen nicht die Urigkeit. Eines meiner absoluten Highlights hier ist jedoch nach wie vor Bradleys absolut großartige Coverversion des Neil Young-Klassikers Heart of Gold. Dass der Sänger und seine Band eine gute Reinterpretation stehen können, zeigte ja vor einer ganzen Weile schon das großartige Changes (Original von Black Sabbath), doch das hier ist eine Hausnummer. Der Song, den sie diesmal wählen, ist vielleicht einer der bekanntesten Popsongs überhaupt und der Riesenhit von Young schlechthin. Das Cover schafft es jedoch, genau die richtige Balance zwischen Fanservice und individueller Note zu erreichen, was nicht weniger als genial ist und erneut die Gefahr birgt, dass man Charles Bradley auf seine gut gemachten Remakes reduziert. Angesichts dessen, dass er mit Black Velvet einen ganzen Haufen großartiger Titel aufgenommen hat und es geschafft wurde, trotz der Compilation-artigen Natur dieser LP einen kohärenten Sound hinzubekommen, wäre das nämlich absolut die falsche Information. Der letzte wirklich große klassische Soulsänger verabschiedet sich hier mit einem fantastischen Album, das ihn ein weiteres Mal als einen unglaublich emotionalen, reinigenden und atemberaubenden Musiker präsentiert. Gott hab ihn selig!






Persönliche Highlights: Can't Fight the Feeling / I Feel A Change / Slip Away / Black Velvet / Heart of Gold / (I Hope You Find) the Good Life / Fly Little Girl / Victim of Love (Electric Version)

Nicht mein Fall: -

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