Donnerstag, 13. Dezember 2018

2018: Das Jahr in Musikvideos



Schon letztes Jahr hatte ich das Gefühl, dass Musikvideos wieder eine gewisse Größe bekommen, doch 2018 war endgültig das Jahr, in dem wieder audiovisuelle Meilensteine geschaffen wurden. Als Musikfan weiß man, wovon ich rede, wenn ich in diesem Zusammenhang Namen wie Childish Gambino, Drake, Lil Pump oder Kanye West nenne. Nach der großen Post-musikindustriellen Flaute und dem in den letzten Jahren prophezeihten Aussterben des Mediums Kurzclip sind wir in dieser Saison wieder an einem Punkt, an dem Musikvideos Tragweite haben und große Regisseur*innen wie Spike Jonze sich solcher Sachen annehmen. Und das schönste dabei: Die meisten von ihnen tun es nicht wegen der Kohle. Hier sind meine zehn liebsten Filmchen der vergangenen zwölf Monate:




> CHILDISH GAMBINO
> This is America

> Regie: Hiro Murai

Es fühlt sich fast schon ein bisschen so an, als müsste ich das hier aus dem Weg räumen, bevor es richtig los geht. Und darüber groß zu schreiben, erübrigt sich eh. This is America ist der Clip, über dass ich primär spreche, wenn ich sage, dass Musikvideos 2018 wieder wichtig geworden sind. Ob Verschwörungstheorien, Remixes, Parodien oder Memes, Donald Glover und Hiro Murai setzten mit diesem Ding im Sommer eine Lawine frei, die bis jetzt noch nicht so wirklich aufzuhalten ist. Und dabei ist wichtig zu erwähnen, dass der Song alleine dieses Kunststück wohl kaum vollbracht hätte. Bei jemandem wie Glover, der hauptberuflich ja immer noch Filmemacher ist, wird das sicher nicht unbewusst passiert sein.





> SOAP & SKIN
> Italy & (This is) Water
> Regie: Ioan Gavriel & Anja Plaschg

Dass auch Anja Plaschg aka Soap & Skin wesentlich mehr ist als nur Musikerin, beweisen zahlreiche skurrile Grusel-Kunst-Montagen aus ihrer Jugend und auch bei diesem Video war sie mal wieder selbst an der Umsetzung beteiligt, als Co-Regisseurin, Darstellerin und natürlich Komponistin. Herausgekommen ist hier fast sowas wie ein kleiner Horrorfilm, für den sogar eine Spoilerwarnung angebracht wäre, würde ich jetzt weiter ins Detail gehen. Was ich dabei beeindruckend finde ist, wie hinterhältig Plaschg ihre Zuschauer*innen täuscht und mit ihren Stimmungen zu spielen versteht. Das alles wohlgemerkt in einem Video, das keine sechs Minuten dauert.





> DIE ACHSE feat. SUSPECT
> Angry German
> Regie: Die Achse

Passend zum aggressiven Gelbwesten-Bigbeat-Techno, den die Achse dieses Jahr auf ihrer Debüt-EP präsentierte, gab es eine handvoll hübsch gemachter Shaky Cam-Vandalismus-Videos, in denen Menschen mit Masken Straßen langlaufen, Leitern hochklettern, CCTV-Kameras zukleben und Tags in den urbanen Raum setzen. Und obwohl dabei sicherlich nur das wenigste authentisch ist (Das CGI-Budget legt die Fakeness am Ende dieses Films offen) hat Angry German doch einen unbestechlichen Fuck-the-System-Vibe. Mehr als alle Gzuzes dieser Welt, die in ihren Clips Gras und Waffen zeigen, ist das hier unglaublich gangster, weil dabei eher wenig Pose und dafür mehr Nervenkitzel dabei sind. Der dick produzierte Grime-Beat und Brit-Rapper Suspect tun ihr übriges.





> THE SMASHING PUMPKINS
> Solara

> Regie: Nick Koenig

An der erneuten Rückkehr der Smashing Pumpkins war schon an sich genug Neunziger-Nostalgie und die erste Single Solara klang wie eine B-Seite von Mellon Collie & the Infinite Sadness. Als dann aber das Video rauskam, hatte man endgültig das volle Programm, denn mit den Elementen von Alrock-Klischees hier könnte man Bingo spielen. Skurrile Charaktere in ulkigen Kostümen: check. Surreal ausgeleuchtete Sets: check. Persönliche Entfremdung und gesellschaftliche Psychose als propagandistisches Überthema: check. Nur Billy Corgan hat ein paar Kilo zugelegt. Mit seinem einkreisenden Plot-Twist und den Cameos der Restband aber vor allem ein extrem sympathisches Video, das die Pumpkins auch visuell wieder ins Spiel gebracht hat.





> ANDERSON.PAAK
> Bubblin
> Regie: Calmatic

Es gab dieses Jahr zwei sehr gute Rap-Videos, die sich auf coole Weise mit Materialismus auseinandersetzten, das andere war ATM von J. Cole. Bubblin ist insofern das coolere, weil es die ganze Pretenziosität, die Cole dabei hatte, durch Humor ersetzt und den sarkastisch-kritischen Text, den Paak hier liefert, mit einem Clip kontert, der als eine Art modernes Märchen funktioniert. Dabei ist nicht nur beeindruckend, wie gut der Rapper sich als Schauspieler schlägt, sondern auch, wie er dabei Hiphop-Video-Klischees einsetzt, um die Lächerlichkeit des Swag, Money, Bitches seiner Kolleg*innen zu persiflieren. Beste Szene: Die, in der Paak den seelisch toten Jungen am Fastfoodketten-Schalter zuquatscht.





> BEHEMOTH
> God = Dog
> Regie: Dariusz Szermanowicz

Dass Behemoth in den letzten Jahren einen neuen Standard für gut gemachte (und vor allem teure) Metal-Videos gesetzt haben, ist vielleicht die coolste Sache an ihnen. Vor allem, wenn man bedenkt, wie bescheuert ihre Clips noch vor zehn Jahren aussahen. Stand 2018 heißt ein Kurzfilm der Polen nicht mehr nur viel Blut, nackte Menschen und fantastische Tierwesen, sondern auch aufwändige Kostüme, spannendes Editing und bombastische Cinematografie. God = Dog sieht dabei nicht selten aus wie eine satanische Version kirchlicher Renaissance-Ölgemälde und Sänger Nergal mimt herrlich kaputt den manischen Pabst der Dunkelheit. Eine Ästhetik, auf die man bei Ariana Grande ja leider noch immer vergeblich hofft.





> DENDEMANN
> Keine Parolen
> Regie: Jakob Grunert

Das ja wirklich sehr neue Dendemann-Video ist ein großartiger Beweis dafür, wie viel mit sehr wenigen Mitteln möglich ist. Sicherlich achtzig Prozent dieses Films sind ohne Dende und ohne Kamera in irgendeiner Software entstanden, trotzdem wirkt es nicht distanziert vom Künstler, sondern unterstützt eher den tatsächlichen Inhalt des Songs. Keine Parolen ist vor allem ein Ansage-Track mit Fokus auf die lyrische Komponente, weshalb Jakob Grunert hier vor allem gut daran tut, visuelle Zurückhaltung zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist das Video im Ende stark und extrem schön anzusehen, alles nur durch spannende Kamerawinkel, eine stylische Farbgebung und ein paar nachträgliche Effekte.





> IVAN DORN
> Afrika
> Regie: Ivan Dorn & Aisultan Seitov

Einen Kurzfilm für ein Charity-Projekt zu drehen, noch dazu mit großem Werbe-Backing, machen sich die meisten Künstler*innen traditionell sehr leicht. Ein bisschen die Straßen Filmen, Reiseeindrücke von sich selbst, dem guten weißen Messias, und natürlich die Menschen, am besten Kinder. Auch Ivan Dorn nimmt diese Elemente als Grundlage für Afrika, doch hat er wenigstens ein ästhetisches Konzept dahinter. Die Cinematografie und Bildarbeit hier ergötzen sich nicht einfach nur an der "exotischen Lebenskultur", sondern machen ernsthaft Laune und würden auch in jedem anderen Kontext funktionieren. Klar wäre das ganze glaubwürdiger, wenn Dorn oder der Regisseur stattdessen ein ugandischer Künstler wäre und kein ukrainischer, aber der Song heißt ja nun Mal auch Afrika und nicht Odessa.





> LIZZO
> Boys
> Regie: Quinn Wilson & Andy Melanie

Es ist fast 2019 und ich finde es eigentlich müßig, über die Body-Positivity-Message dieses Videos zu reden, wäre sie nicht der wunderbare Kern der ganzen Sache. Nicht nur auf Lizzo selbst bezogen, sondern auch auf die ganzen haarigen Ärsche, Stretchmarks, Zahnspangen und Orangenhäute, die hier zu sehen sind. Das tolle dabei ist, dass die beiden Regisseur*innen dafür keine Betoffenheits-Ballade inszenieren müssen, in denen Menschen auf Knopfdruck ihren Körper zelebrieren. In Boys passiert das alles schon so selbstverständlich und souverän, dass man es nicht laut aussprechen muss. Und das ist in meinen Augen der wahrhaft progressive Charakter dieses Clips.





> MAC MILLER
> Self Care
> Regie: Christian Weber

In den Lyrics von Self Care geht es darum, sich gute Dinge zu gönnen, weil es einem beschissen geht, im Video dazu sieht man Mac Miller quarzend in einem Sarg liegend. Ganz abgesehen davon, dass diese Bild-Ton-Schere ob seines kürzlichen Ablebens noch einmal eine ganz neue, traurige Ebene bekommt, ist sie thematisch ein ziemlich clevere. Cineastisch geklaut aus dem Cortés-Streifen Buried - lebend begraben hat es einen popkulturellen Kontext, dreht aber konsequent alle Erwartungen um. Miller versucht sich nicht aus der Misere zu befreien, er macht es sich gemütlich - eine bitterböse Metapher, bei der inzwischen die ein oder andere Alarmglocke schrillen sollte. Leider ein paar Monate zu spät.




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