Donnerstag, 18. Juni 2020

Die neue Unermüdlichkeit des William Ryan


[ exotisch | ambient | jazzig ]

Es ist eigentlich eine wunderbare Sache, dass es in den letzten Jahren um den Output von William Ryan Fritch etwas ruhiger geworden bin. Und damit meine ich nicht etwa die Aufmerksamkeit, die der Künstler aus Colorado für seine noch immer ziemlich großartige Arbeit bekommt, denn die lässt noch immer zu wünschen übrig. Ich meine damit vor allem, dass sich das Chaos in seiner umfangreichen Diskografie inzwischen ein bisschen geordnet hat. Denn schaut man um etwa fünf Jahre zurück, war es oftmals selbst für mich als Fan schwer, in seinem gigantischen Katalog durchzublicken. Allein in seiner ersten großen Release-Serie Leave Me, die Fritch zwischen 2014 und 2016 veröffentlichte, erschienen insgesamt zehn individuelle Tonträger, die auf etwas mehr als 110 Einzeltracks kamen und bei denen am Ende wahrscheinlich nicht mal der Künstler selbst ganz den Durchblick hatte. Angesichts dieses massiven Einstandes war es in den Jahren danach erstmal verhältnismäßig ruhig um ihn. Zwar ging bei jemandem wie ihm dabei noch immer nichts unter mindestens zwei Veröffentlichungen pro Jahr, doch waren diese meistens eher nebensächliche Tätigkeiten wie Soundtracks oder Auftragsarbeiten, die Fritch schon immer quasi nebenbei aus dem Ärmel schüttelt. Und das wichtigste war ja, dass man sich mittlerweile einen Überblick machen konnte, was aktuell war in der Welt des Songwriters abgeht und es auch okay wurde, ihn mal für eine Weile zu ignorieren. Zumindest bis jetzt. Denn so wie es aussieht, schickt sich das Monster just an, wieder aus der Haut zu fahren. Bereits vor einigen Monaten kündigte Lost Tribe Sound, das Label, dessen Brötchen zu gut 80 Prozent Fritch von verdient werden, eine neue 15-teilige Album-Kollektion an, die noch innerhalb dieses Jahres vollendet werden soll. Und obwohl das ganze diesmal ein kollektives Vorhaben diverser Künstler*innen von LTS wird, sind von unserem Freund hier zumindestens fünf Releases geplant. Es kann also wieder heiter werden. Wobei sich auch gleich mit the Letdown, dem ersten Eintrag in der Serie, erneut zeigt, dass diesem Typen so etwas zuzutrauen ist. Bei aller Überforderung, die ich mit dem Leave Me-Katalog seinerzeit hatte, ergab sich doch nie das Gefühl, dass Fritch sich mit dieser Aufgabe verhebt oder einfach zu viel von sich selbst will. Klar waren nicht alle Teile der absolute Oberhammer, aber sie hatten zumindest Substanz und es steckte fast immer eine Idee dahinter. Und auch the Letdown eröffnet wieder die Möglichkeit eines solchen Erlebnisses. Was direkt doppelt interessant ist, weil er sich mit dieser LP direkt ein bisschen künstlerisch neu erfindet. Wo seine bisherigen Platten stets im weitesten Sinne das Spektrum Folk bearbeiteten, entledigt er sich hier eigentlich komplett dieser Ästhetik und macht etwas, dass man als sein Jazz-Debüt bezeichnen könnte. Die Gitarren, Streicher und Percussion-Elemente der Vorgänger schließt er dabei einfach Weg und nutzt stattdessen Saxofon, Orgeln, Vibraphon und diverse Bläser, um mehr oder weniger die gleichen flirrenden Orchestral-Sounds zu erzeugen wie vorher, was aber gleich eine völlig neue Ästhetik hervorbringt. Gerade die ersten Tracks des Albums sind mit ihren teilweise sehr schmissigen, swingenden und psychedelischen Motiven völlig neues Terrain für Fritch. Im Opener Unhinged mimt er einen nicht zu verachtenden Coltrane-Style, Going Through the Motions ist eine äußerst stabile Cool Jazz-Nummer und in Free Radical hört man sogar Stimmungen aus Bossa Nova und Calypso heraus, die ich diesem Typen in hundert Jahren nicht zugetraut hatte. Und es ist ohne Frage der Teil des Albums, an dem die besten und kreativsten Momente auf the Letdown entstehen. Würde das ganze Album diesen Schritt halten, hätten wir hier vermutlich eine zweistellige Punktzahl am Ende. Denn obwohl die ambient-düstere Free Jazz-Richtung, die die Platte danach einschlägt auch auf ihre Weise cool ist, wird es im Mittelteil ein bisschen vorhersehbar. In Songs wie Initiative oder Curls of Smoke erreicht Fritch Stellen, in denen er mehr oder weniger nur noch Sounds verdichtet und jene dronigen Instrumentalspur-Choräle erzeugt, die schon auf seinen ersten Platten zu den weniger amüsanten Parts gehörten. In den Songs hier ist diese Art von Songwriting so gut ausgeführt wie selten, man braucht nur erstmal eine Weile, um damit klarzukommen, dass man ab jetzt ein avantgardistisches Ambient-Album hört. Erst zum Ende hin lockert Fritch diese starre Kompositionsweise wieder ein bisschen auf und wird orchestraler, wobei es mit dem walzerartigen Schlussstück What's Left Unfilched nochmal ein echtes Highlight gibt. Vieles an den letzten Songs erinnert mich dabei an eine umgekehrte Version des Caretaker-Epos Everywhere at the End of Time, bei dem aus der Kakophonie heraus plötzlich wieder ein Konzept wächst. Und bei der ich trotz aller Nörgelei am Ende sagen muss, dass ich absolut begeistert bin. Obwohl the Letdown durchaus seine Längen hat und um die Mitte herum die Luft etwas dünn wird, ist es mit Sicherheit eines der besten Projekte von Fritch bisher, das unglaublich viele neue Facetten dieses Künstlers zeigt. Allein schon in sich wirkt vieles hier extrem programmatisch und konzeptuell, was mich sehr neugierig darauf macht, wie diese Ideen auf den vier weiteren Platten der Serie fortgesetzt werden. Und so wie ich diesen Typen kenne, wird er die Motive hier weiterhin als Basis nutzen, um sich kreativ auszutoben. Es könnte also wahnsinnig interessant werden. Was bei mir im Moment sogar die Frage aufkommen lässt, ob ich vielleicht nicht nur die fünf Alben von Fritch, sondern auch die zehn anderen noch hören sollte. Womit wir wieder an dem Punkt der Erschöpfung wären, von dem ich bei Lost Tribe Sound eigentlich weg wollte. Aber was tut man nicht alles.


Hat was von
Mattew Tavares & Leland Whitty
Visions

the Caretaker
Everywhere at the End of Time

Persönliche Höhepunkte
Unhinged | Free Radical | Comoulsion_Going Through the Motions | Curls of Smoke_False Confidence | the Letdown | Shuttered | Dream Glitch_Fugue State_Broken Barriers | What's Left Unfilched

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen