Mittwoch, 1. Juli 2020

Stumpf ist Trumpf


[ latin-poppig | trendy | cringy ]

Lasst mich diesen Artikel am besten mit der unmissverständlichen Feststellung anfangen, dass dieses Album sich falsch anfühlt. Dass man es den Black Eyed Peas von 2020 extrem anmerkt, wie ihnen schon lange die Ideen ausgegangen sind, wie furchtbar peinlich sie sich hier an gängige Trends und Klischees ranschmeißen und wie unverschämt sie hier die aktuelle Hype-Welle von Latin Pop und Reggaeton ausnutzen, um wenigstens ein bisschen so zu tun, als hätte der Zeitgeist sie nicht schon lange links liegen lassen. Es ist mit Abstand das auffälligste Merkmal eines Albums wie Translation, wie viel Selbstentfremdung es bereit ist auszuhalten, um ein paar schnelle Hits zu generieren. Und es ist auf den ersten Blick vielleicht auch keine Überraschung, dass so eine Aktion ausgerechnet von dieser Band kommt. Über etwas mehr als 15 Jahre ist es inzwischen sowas wie das Markenzeichen der Black Eyed Peas geworden, jegliche musikalische Identität sukzessive abzuwerfen und schamlos die Ideen anderer zu verwursten, um billige Dancefloor-Popcorn-Schlager zu schreiben und sich in jeder Faser auszuverkaufen. Trotzdem hat Translation diesbezüglich nochmal eine ganz andere Qualität als die Platten, denen die Gruppe diesen miesen Ruf zu verdanken hat. Und das hat zum einen damit zu tun, dass Translation der Nachfolger des ersten Masters of the Sun-Projekts ist, das vor zwei Jahren eigentlich den Eindruck machte, als würde die neue, wieder zum Trio geschrumpfte Inkarnation der Peas wieder zurück zu ihren Hiphop-Wurzeln gehen. Zum anderen deshalb, weil diese Gruppe selbst zu ihren fragwürdigsten Zeiten nicht den Eindruck machte, sich selbst komplett zu verlieren. Sicher, Platten wie the Beginning oder the E.N.D. Ende der Zwotausender waren schamlos kommerziell und denkbar plump, doch war das auf eine schräge Weise auch irgendwie Ausdruck einer künstlerischen Entwicklung. Ich für meinen Teil mochte den umpfigen Minimalismus der damaligen Will.i.Am-Produktion sogar ein bisschen. Und selbst wenn man diese hasste, war sie zumindest eine relativ konstante, individuelle Ästhetik, die der Peas-Chefdenker auch nach der Auflösung der ursprünglichen Band durchzog. Dass mit der Reunion 2018 dann wieder ein etwas geerdeter, rustikaler Sound (zumindest im direkten Vergleich) kam, ergab ebenfalls Sinn und sorgte dafür, dass die Black Eyed Peas zumindest ein bisschen erwachsener wirkten. Kommerziell gesehen war es aber auch ein kolossaler Flop. Was vielleicht einer der Gründe dafür ist, dass Translation diesmal völlig anders klingt. Nämlich im wesentlichen so, dass ich das erste Mal das Gefühl habe, hier nicht mehr die gleiche Band zu hören. Unter allen Dingen, die diese drei Musiker irgendwie in ihrer künstlerischen DNA vereinen, ist Latin Pop nie ein Element gewesen und dass sie jetzt plötzlich damit anfangen, wirkt einfach erbärmlich. Stellenweise sogar invasiv, wenn man bedenkt, dass sich hier eine etablierte US-amerikanische Formation mit einem Sound zurück ins Rampenlicht mogeln will, der gerade dafür sorgt, dass auch Künstler*innen von außerhalb der Staaten ernsthafte Erfolgschancen in Nordamerika haben. Die Black Eyed Peas finden einfach außerhalb des Assoziationsbereichs statt, das momentan den Markt für dieses Genre ausmacht und in den Songs hier merkt man das auch sehr deutlich. Besonders Will.i.Am kann es sich mal wieder nicht verkneifen, in jedem Song selbst für einen völlig deplatzieren und von Stereotypen triefenden Latin-Flavour zu sorgen und streut regelmäßig die billigsten spanischen Catchphrases ein, die selbst einen schmierigen Pitbull vergleichsweise authentisch wirken lassen. Um Credibility zu erzeugen, lädt die Band dann außerdem das Who is Who des aktuellen Reggaeton-Mainstreams ein, die die Platte teilweise eher wirken lassen wie einen Allstar-Sampler für lateinamerikanische Popmusik, auf der anderen Seite aber auch sehr gut die Falschheit entlarven, mit der die Peas hier agieren. Und wenn Stücke am Ende Mamacita, Vida Loca oder Todo Bueno heißen, kann man sich ja denken, wie tiefgreifend hier die Auseinandersetzung mit dem Thema Latin Pop stattfindet. Man kann um die Feststellung somit ganz einfach nicht umhin, dass Translation vom Konzept her ein ziemlicher Totalschaden ist. Aber hier entsteht für ich auch irgendwie der Hauptkonfikt mit dieser LP: Denn musikalisch gesehen halte ich es für das mit Abstand beste Projekt der Black Eyed Peas seit mindestens einer Dekade. Und ja, ein bisschen hat das auch damit zu tun, wie sehr ich mittlerweile das Cringe-Potenzial dieser Band schätze. Wenn Will.i.Am 2020 eine Zeile wie "I woke up puffin' on the medical / Lunch time, munchin' on the edibles" schreibt, bin ich lange darüber hinweg, mich aufzuregen wie dämlich das inhaltlich ist und liebe viel eher ihre stumpfe Schönheit, von der es hier wahrlich viel zu bewundern gibt. Und abgesehen davon können sie das mit den Bangern ja immer noch ganz gut. Songs wie Ritmo, Vida Loca, Girl Like Me oder Action mögen in keinster Weise intelligent sein, aber sie sind verdammt noch mal ziemlich catchy und gehen teilweise schon so holzkopfig nach vorne, dass man sie einfach mögen muss. Wobei es auf sonderbare Art sogar cool ist, dass sie dabei die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Das musikalische Motiv von Vida Loca basiert im wesentlichen auf Can't Touch This von MC Hammer? Ein Geniestreich. In Woke Up verwendet ein 46-jähriger Musiker das Wort "titty pics"? Poetisch. Der Refrain von Action besteht fast ausschließlich aus schlechten Maschinengewehr-Scats? Ganz große Kunst. Und selbst wenn die Peas mit dem Albumcloser News Today die wohl käsigste Novelty-Ballade (Spoiler: Es geht um Corona) schreiben, ist das irgendwie geil. Weshalb ich auf eine morbide Art und Weise jede Faser von Translation liebe. Klar könnte man an dieser Stelle jetzt nochmal die ganze Repräsentations-Schiene herausholen und auch den Begriff kulturelle Aneignung will ich an dieser Stelle zumindest nochmal in den Raum geworfen haben, aber ganz ehrlich: Wem schaden die Black Eyed Peas mit diesem Album wirklich? Es wäre eine andere Nummer, wenn so ein Album von jemandem wie Drake oder Ed Sheeran kommen würde (und bei beiden gab es dahingehend immerhin Andeutungen), aber die Black Eyed Peas? Die interessieren doch sowieso niemanden mehr. Wenn diese Platte jemandem Schaden zufügt, dann am ehesten ihnen selbst. Und dann können wir alle noch genug darüber reden, wie scheiße diese Band schon immer war. Aber tief im Inneren bin ich definitiv nicht der einzige, der sich von ihnen nach wie vor sehr unterhalten fühlt, und sei es noch so unbeabsichtigt.


Hat was von
Bad Bunny
Las Que No Iban A Salir

Pitbull
Global Warming

Persönliche Höhepunkte
Ritmo | Feel the Beat | Mamacita | Girl Like Me | Vida Loca | Tonta Love | Todo Bueno | Duro Hard | I Woke Up | Get Loose Now | Action | News Today

Nicht mein Fall
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