Freitag, 17. Juli 2020

Geredet wurde viel

Massive Attack - Eutopia
[ politisch | dokumentarisch | multimedial ]

Trotz der Tatsache, dass es von Massive Attack nunmehr seit einer ganzen schon Dekade kein vollwertiges neues Album mehr gab, kann ich mich als Fan von von ihnen über die letzten Jahre eigentlich in keinster Weise beschweren. War gerade diese Phase doch eine der besten, um die Diskografie der Briten neu und umfassend zu erleben. Dank des glücklichen Umstands, dass ihre drei großen Klassiker aus den Neunzigern allesamt runde Jubiläen feierten, gab es von fast jedem davon umfassende Rereleases mit allem möglichen Schnickschnack, darüber hinaus ein weiteres Remix-Album mit Mad Professor und nicht zuletzt umfangreiche Touren, auf denen fast immer die prominente Originalbesetzung an hochkrätigen Gaststars anwesend war. Und auch wenn wirklich neues Material eher selten erschien, so war dieses doch stets von bewährter Qualität. Mehr als ein 'man nimmt was man kriegt' war mein Verhältnis zu Massive Attack während der Zwotausendzehner viel eher von dem Vertrauen geprägt, dass diese Band sehr gut weiß, was sie tut und deshalb auch sorgfältih abwägt, wann sie es tut. Weshalb ich auch äußerst zuversichtlich war, als letzte Woche aus heiterem Himmel diese neue EP und mit ihr das erste Lebenszeichen der Triphop-Pioniere seit Ritual Spirit von 2016 erschien. Mit nur drei unbetitelten Songs war das Ding zwar erstmal etwas schmal geraten, doch wurde dafür inhaltlich ganz ordentlich aufgefahren: Als Gäste waren mit den Young Fathers, Algiers und Saul Williams nicht nur drei prominente Vertreter*innen aus dem musikalischen Bereich dabei, sondern auch drei wissenschaftliche Expert*innen aus den Bereichen Umwelt, Poltik und Wirtschaft, die hier das inhaltliche Gerüst stellen sollten. Noch dazu erschien Eutopia diesmal nicht als herkömmlicher Tonträger, sondern als audiovisuelles Gesamtkunstwerk, das bis dato erstmal nur auf Youtube zu finden ist und bei dem für jeden Track ein kleiner Extrafilm zusammengestellt wurde. Trotz der Knappheit des Releases hatte das hier also Potenzial, etwas sehr besonderes zu sein und anhand der großen Themen, die hier inhaltlich gewälzt werden, hätte ich mir das auch gewünscht. Nur habe ich am Ende eher das Gefühl, dass Massive Attack es sich hiermit doch ein bisschen zu einfach gemacht haben. Alle drei Stücke dieser EP sind im wesentlichen nicht mehr als Backdrops für die Spoken-Word-Samples der jeweiligen WissenschaftlerInnen, die sich darauf eher unzusammenhängend Ted-Talk-mäßig mit Krisen der Finanzpolitik, des Klimawandels und der Corona-Epidemie auseinandersetzen. Das ist an sich schon ziemlich relevant und die einzelnen Beiträge wirken in keinster Weise verkürzt oder schwafelig, nur frage ich ich, warum es dafür diesen musikalischen Kontext braucht. Auch die zusätzliche visuelle Ebene trägt dazu nicht wirklich einen Mehrwert bei, denn die drei Filme sind letztlich nur unwesentlich mehr als flott gemachte Lyric Videos mit kunstigem Found-Footage-Gewaber im Hintergrund. Mein Problem ist dabei gar nicht mal, dass Massive Attack und ihre Musik in den Hintergrund rücken, denn ähnliche Ansätze mag ich bei artverwandten Künstler*innen wie Kate Tempest oder Underworld total gerne. Nur habe ich dort das Gefühl, dass auch viel über das Charisma der jeweiligen Erzählerperspektiven funktioniert, während das hier klingt und aussieht wie ein schlecht gemachter Vox-Beitrag. Die Art und Weise, wie hier der Inhalt über die Form gestellt wird, ist von der Idee her ganz okay, aber es erzeugt keinen Mehrwert gegenüber einer guten Dokumentation oder einem Vortrag, sondern eher das Gegenteil. Was zusätzlich frustrierend ist, weil es von Massive Attack eben schon Songs wie Eurochild oder A Prayer for England gibt, die einen besseren Effekt mit wesentlich simpleren Mitteln erzeugen und die zeigen, dass die Briten eine verdammt gute politische Band sein können. Nur ist das hier einfach ein bisschen zu viel des Guten. Als selbsternannter Connaisseur ihres Katalogs bin ich schwer enttäuscht von dem gewaltigen Hänger, den sie hier verzeichnen und muss leider auch sagen, dass Eutopia so ziemlich das mieseste ist, was ich von ihnen je gehört habe. Dass sie deshalb mein Vertrauen verlieren, heißt das zwar noch lange nicht, doch schockiert bin ich schon irgendwie, dass eine über 30 Jahre so stilsichere Formation hier mit einem Mal so derbe in den Sack haut. Und gerade im Angesicht ihres wenigen neuen Outputs lässt das schon die Frage aufkommen, wohin diese Band gerade geht und ob Musik überhaupt noch der eigentliche Hauptfokus ist. Eine Frage, die sicherlich schwer zu beantworten ist, wenn der nächste Puzzlestein erst wieder in vier Jahren erscheint.


Hat was von
Underworld & Iggy Pop
Teatime Dub Encounters

Vox
Climate Change-Playlist

Persönliche Höhepunkte
-

Nicht mein Fall
Massive Attack x Young Fathers | Massive Attack x Algiers

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