Samstag, 18. Juli 2020

Zehn Jahre später: Romantik der Erinnerung

[ romantisch | wildwüchsig | minimalistisch ]

Es war der Freitagabend des Sun Flower Festivals 2010, als ich mich ein für alle Mal in die Musik von Cornelius Ochs verliebte und man kann dabei durchaus sagen, dass es Liebe auf den ersten Blick war. Auf der Bühne steht er an diesem Tag mit seinem jüngsten Bandprojekt the Baby Universal, das eigentlich auch nur seine zwei letzten Bands mit neuem Namen und neuem Konzept ist. Doch für den 13-jährigen Typen, der gleich eines der ersten lebensverändernden Konzerte seiner Biografie erleben wird, ist das erstmal genauso irrelevant wie die Tatsache, dass diese Gruppe unter dem Namen Zombie Joe bereits 2005 eines seiner späteren Lieblingsalben herausgebracht hat oder dass der Frontmann dieser Band, der gerade so erotisch und androgyn das Publikum für sich einnimmt, gerade auch an seinem ersten Soloalbum arbeitet. Für diesen Abend steht erstmal der bleibende Eindruck, den seine Band bei ihm hinterlassen hat und die Begeisterung für ihre mystische Rockmusik. Eine Basis, auf der sich nicht wenig später ein einigermaßen akribisch betriebenes Fandom aufbauen lässt, dessen Nachwehen auch zehn Jahre später noch nicht verhallt sind. Erst letztes Jahr war ich nach langer Zeit mal wieder bei einem Konzert von Conny Ochs, dessen Solokarriere inzwischen sein wesentliches Standbein geworden ist und der sich aus seiner Szene-Heimat Halle an der Saale inzwischen nach Norditalien abgesetzt hat. Als Dichter, Maler und Musiker lebt er dort irgendwie seinen persönlichen Klischee-Traum eines Rockstars, ohne wirklich einer zu sein. Doch kann er sich mit seiner Kunst als mittlerweile Frühvierziger anscheinend trotzdem ganz gut seine Brötchen verdienen und bringt auch ohne Bandzugehörigkeit recht regelmäßig neues Material heraus. Als Fan seiner Musik muss ich dabei jedoch leider sagen, dass diese während der letzten zehn Jahre immer stärker nachgelassen hat und von okayen Sachen wie Black Happy oder seiner ersten Kollaboration mit Obsessed-Frontmann Scott 'Wino' Weinrich mittlerweile in ziemliche Katastrophen wie Future Fables oder das grauenvolle Doom Folk übergegangen ist, in denen Ochs nur noch billigen Kitsch zu fabrizieren scheint. Mit Songs, die mitunter so stumpf sind, dass man sich schon manchmal fragt, ob die eigene Liebe für seinen frühen Output vielleicht doch nur nostalgische Verklärung war. Die Antwort darauf ist dann tatsächlich gar nicht so einfach und davon abhängig, von welchem Projekt man spricht. Wo beispielsweise die beiden Zombie Joe-Platten noch immer großartig sind und ihnen das Alter nichts anhaben kann, ist der Output von Baby Universal rückblickend schon deutlich durchwachsener. Das größte Fragezeichen war für mich in der Erinnerung aber immer das 2010 erschienene Raw Love Songs, das als Connys Solodebüt ja immerhin der Anfang seines unsäglichen Abwärtstrends als Alleinunterhalter markierte, als solches aber immer zu meinen Favoriten zählte. Hätte ich über die letzte Dekade ein Ranking aller Platten des Hallensers geführt, wäre diese hier in vielen Momenten sicherlich an zweiter Stelle gestanden, direkt nach dem offensichtlichen Topfavoriten Schlachthaus, Baby! von Zombie Joe. Doch war ich nach so vielen Jahren irgendwie gespannt, ob Raw Love Songs im Kontext von Ochs' Solo-Verfall diesen Anspruch halten konnte, oder ob ich es inzwischen mit anderen Augen sehe. Und das Ergebnis hat mich am Ende tatsächlich ein bisschen selbst überrascht, insofern ich es jetzt gerade sogar ein bisschen besser finde als beim letzten Mal. Dabei ist ein wesentlicher Faktor die offensichtliche Leidenschaft, die dieses Album in jeder Faser in sich trägt und die in wunderbarer Weise einem reißerischen Titel wie Raw Love Songs gerecht wird. Auf so gut wie allen Stücken hier hört man nur Ochs selbst mit einer Gitarre - manchmal akustisch, manchmal elektrisch - sowie vielleicht mal zwei pointierte Schläge auf einem Drumset, sonst nichts. Das wäre an sich auch nichts besonderes, wäre dieser Typ nicht so ein wahnsinnig talentierter Sänger, der sich hier in jede seiner Zeilen förmlich hineinlegt und mit herrlich viel Inbrunst und Emotionalität singt. Ästhetischer Ansatzpunkt ist dabei am ehesten seine Jahre zuvor veröffentlichte Serie von Woodie Guthrie-Covern mit einer Inkarnation von Zombie Joe, bei der er sehr viel Folk und Blues absorbierte. Diesen schwitzt er auf diesen zehn Songs nicht zum ersten Mal aus, doch bisher am wirkungsvollsten. Auf den ersten Blick ist dabei vieles sehr gewöhnliches Singer-Songwriter-Material, doch hat es alles - auch durch die sehr minimalistische Performance - etwas sehr uriges und archaisches, das an alte amerikanische Volksmusik erinnert. Der Begriff Kitsch ist dabei wie bei allem von Conny Ochs Teil der Formel, doch habe ich im Vergleich zu seinen späteren Platten hier das Gefühl, dass diese ein echtes romantisches Wesen in sich trägt. Wenn Ochs in Burn Burn Burn von nächtlicher Lagerfeuerromantik oder in Lily of the Valley über herzzereißende Sehnsucht singt, ist das kitschig, aber mit Methode. Und ich fühle dabei etwas, im Gegensatz zu den leeren Song-Hüllen seiner letzten LP. Es ist erstaunlich, wie viel Charakter hier so gut wie jeder der Tracks mit sich bringt, ob nun brachial-mystisch wie in Angels & Demons oder folksy-balladesk wie in Good House. Wobei ich hier auch das einzige Mal nicht das Problem habe, dass Ochs sich mit seinen eigenen Lyrics im Weg steht, was sonst eines der großen Probleme seiner Musik ist. Schon bei Baby Universal war es immer wieder der lästige Elefant im Raum, dass der Hallenser - zumindest wenn er auf englisch schreibt - schlicht und einfach kein guter Texter ist. Da sind die Reime billig, die narrative Kontinuität zerpflückt und die behandelten Themen oberflächlich. Und obwohl ich weiß Gott nicht argumentieren will, dass sein Stil auf Raw Love Songs plötzlich total genial ist, stört er hier zumindest nicht den Genuss des Gesamtwerkes. Die Lyrics dieser Platte sind simpel, ja, aber nicht schlecht. Und gerade in Verbindung mit der minimalistischen Musik, die oft etwas von Volkswaisen hat, trägt das auf irgendeine Weise sogar zur Ästhetik des ganzen bei. Was im Endeffekt vielleicht der Spirit ist, der diese Platte für mich so toll macht: Conny Ochs tut hier etwas, das er gut kann. Mit seiner Wahnsinnsstimme und seinem Faible für entrückte, folkige Gitarrenmotive vereint er hier seine zwei vielleicht größten Talente und lässt darüber hinaus alles weg, was diese stören könnte. Mit dem Ergebnis, dass sich hier der wirklich großartige Songwriter entpuppt, der dieser Typ sein kann, wenn er will. Und Raw Love Songs ist deshalb relevant, weil es mir das immer wieder ins Gedächnis ruft, wenn er wieder eine richtig miese LP gemacht hat und ich mich frage, warum ich so einen dämlichen Ville Vallo-Verschnitt eigentlich so geil finde. Das hier ist der Grund. Dieses kleine Meisterwerk zwischen den Stühlen, das mich immer wieder packt und zumindest die Möglichkeit eröffnet, dass er so ein Ding vielleicht irgendwann nochmal macht. Die Vorraussetzungen sind schließlich alle da.


Hat was von
Eddie Vedder
Into the Wild

Elliott Smith
Either/Or

Persönliche Höhepunkte
Stampede, Stampede | Lily of the Valley | Angels & Demons | Good House | Don't Know Her Name | Pawnshop | Burn Burn Burn | Waiting for the Monster | Traces & Traps

Nicht mein Fall
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