Sonntag, 5. Juli 2020

Denken Sie groß


[ großkotzig | bedeutungsschwanger | soulig ]

Dass Teyana Taylor das mit der Musik so richtig ernst meinst, war eine Sache, die bis dato immer ein bisschen in der Schwebe lag. Klar gab es das erste vollwertige Album von ihr schon 2014 und seitdem immerhin ein paar recht schicke EPs und Mixtapes, doch schien ihre Beschäftigung als Songwriterin und Performerin eine der vielen Jobs zu sein, die sie irgendwie nebenbei macht. Als Schauspielerin, Choreografin, Model, Filmemacherin und Tänzerin ist ihr künstlerisches Portfolio auch außerhalb ihrer musikalischen Tätigkeit ein ziemlich beeindruckendes und gerade im Kontext ihres Hauptarbeitgebers G.O.O.D. Music waren ihre eigentlichen Songs bisher nicht die Faktoren, die ihr die größte Publicity einbrachten. Doch spätestens mit the Album dürfte klar sein, dass Teyana Taylor nicht nur sehr wohl eine Musikerin sein will, sondern sich auch gleich an einem definierendes Opus Magnum probiert. Es sind Dinge wie der sperrige Titel, eine Tracklist von 23 Songs in 77 Minuten und eine höchst exklusive Gästeliste mit Schwergewichten wie Erykah Badu, Missy Elliott oder Lauryn fucking Hill, die einfach eine sehr eindeutige Sprache sprechen: Diese Frau will endlich mit ihrer eigenen Musik einen großen Wurf landen und etwas veröffentlichten, das sich groß und wichtig anfühlt. Das erste davon hat sie dabei mit Sicherheit schon geschafft, das zweite traute ich ihr im Vorfeld zumindest zu. Bereits vor zwei Jahren hatte mich ihr exklusiv von Kanye West produziertes Mixtape K.T.S.E. positiv überrascht und auch wenn Taylor in meinen Augen keine wirklich besondere Künstlerin war, war sie doch wenigstens eine talentierte. Und mit der adäquaten Starthilfe hinter diesem neuen Projekt (die sie offensichtlich hat) wäre es sicher nicht unmöglich, so ein gewaltiges Album-Unterfangen zum Erfolg zu führen. Wobei der großkotzige Nimbus dieser LP natürlich auch ihre größte Gefahr birgt. Ein fast anderthalbstündiges Soft-R'n'B-Projekt einer Gelegenheits-Musikerin, die bisher nicht durch kreative Eskapaden auffiel, ist gerade dieser Tage alles andere als eine sichere Bank und kann besser gesagt auch gehörig schiefgehen. Insbesondere für jemanden wie mich, der zu dieser Stilrichtung nicht unbedingt das allerbeste Verhältnis hat. Und es wäre tatsächlich eine Lüge zu behaupten, dass derartige Probleme an the Album einfach so abperlen. Für seine immense Länge ist vieles hier tatsächlich manchmal ein bisschen sehr gleichförmig, nicht alle der namhaften Features tragen wirklich viel zur Diversifizierung des Gesamterlebnisses bei und lyrisch gesehen ist Teyana Taylor bestenfalls durchschnittlich unterwegs. Hinsichtlich des großen Gefahrenpotenzials dieses Albums, wirklich grottig zu werden, ist diese kleine Liste an Beschwerden aber relativ erstaunlich. Und ich muss definitiv sagen, dass die LP in 77 Minuten insgesamt interessanter ist als so manches andere Projekt, das nur halb so lang ist. Was primär daran liegt, dass Taylor hier definitiv nicht einfach willkürlich Stücke aneinanderreiht, sondern die einzelnen Abschnitt davon in kleinere Kapitel einteilt. Parallel zum Gesamtpaket the Album ist die gleiche Tracklist auch in Form von fünf separaten EPs erhältlich, was einzelne Motive direkt sehr übersichtlich zusammenfasst. Da gibt es den familiären Block ganz am Anfang mit dem dramatischen Intro und Come Back to Me, einen sehr erotisch angehauchten Mittelteil mit 1-800-One Night, Morning und 69, eine kurzes Dancehall-Intermezzo mit Killa und Bad und so weiter und so fort. Die meisten Songs folgen dabei einer relativ klassischen modernen R'n'B-Formel ohne viel Schnickschnack, doch gibt es immer irgendein kleines Alleinstellungsmerkmal, dass die Platte niemals komplett veröden lässt. Über die vollständige Spieldauer stellt sich dabei ein angenehm schnuffeliger Playlist-Vibe ein, der sehr an die letzten Platten von Drake und the 1975 erinnert mehr oder minder und auch genauso gut funktioniert. Und obwohl dabei überall auch die Fingerabdrücke von Labelchef und Mentor Kanye West zu finden sind, fühlt sich das ganze am Ende doch relativ eigenständig und vor allem auch persönlich an. Wenn the Album überhaupt an das Werk von jemand anderem erinnert, dann am ehesten an die experimentelle Slowjam-Phase von Beyoncé Anfang der letzten Dekade, und den Vergleich mit ihr wird sicherlich niemand als Beleidung auffassen. Vor allem, weil am Ende eh das Statement am wichtigsten ist. Mit einer LP wie dieser hier will Teyana Taylor vor allem etwas beweisen, und das hat sie in meinen Augen getan. The Album ist am Ende des Tages vielleicht keine Platte, die ihrer musikalischen Risikofreudigkeit oder Kreativität wegen gefeiert wird, doch das braucht sie auch gar nicht. Allein die Tatsache, dass sie als bisher sehr unbeständige Musikerin diese Aufgabe stemmt und der Welt einen Longplayer vorlegt, der sie bei den großen mitspielen lässt, ist beeindruckend genug. Selbst wenn das hier Teyana Taylors letztes Album bleiben würde, hat sie sich damit zumindest die Credibility erarbeitet, um auch von folgenden Generationen als veritable Songwriterin wahrgenommen zu werden. Une eben nicht als eine, die es nur mal probiert hat.


Hat was von
Beyoncé
Beyoncé

Mac Miller
the Divine Feminine

Persönliche Höhepunkte
Intro | Come Back to Me | Lowkey | Morning | Boomin | Killa | Bad | Lose Each Other | Concrete | Ever Ever | We Got Love

Nicht mein Fall
Let's Build | Wrong Bitch | Try Again

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen