Montag, 6. Juli 2020

Die Erfüllung


[ launisch | farbenfroh | kreativ ]

Fast genau ein Jahr ist es jetzt her, dass Haim Summer Girl veröffentlichten, eine der in meinen Augen besten Singles der vergangenen Saison und für die meisten Leute so etwas wie der inoffizielle Startschuss der Promophase für Women in Music Pt. III. Dass seitdem inzwischen elf Monate vergangen sind, die Band nach dieser Phase noch einmal ein ganzes Stück anders klingt und die ursprüngliche Leadsingle, inklusive ihrer beiden Nachfolger mittlerweile in die Funktion eines Bonustracks degradiert wurde, sagt dabei einiges über die Reise, die Haim mit diesem Album schon vor seiner Veröffentlichung unternommen haben. Dabei waren schon die Jahre zuvor für sie reichlich turbulent. Aus der tingeligen, etwas gesichtslosen Konsenspop-Band, als ich die drei Schwestern vor etwa sieben Jahren kennenlernte, ist über die längste Phase der letzten Dekade eine mehr oder weniger sehr ernstzunehmende, erwachsene Sophistipop-Band geworden, die ich seit meiner ersten Begegnung mit ihrer Musik kontinuierlich mehr mag. Was um 2018 herum mit guten Feature-Spots bei anderen Künstler*innen anfing, setzte sich seit dem letzten Sommer mit einer ganzen Reihe toller eigener Singles fort und kulminiert jetzt konsequenterweise in einem Longplayer, der dieser Entwicklung gerecht wird. Und obwohl ich mir über die Entstehung des ganzen nicht sicher bin, klingt das, was Women in Music Pt. III jetzt ist, nach einem Projekt, das binnen der letzten Saison noch einmal ordentlich gewachsen ist. Schon jene ersten Singles wie Hallelujah oder Summer Girl waren in meinen Augen ein gewaltiger Schritt vorwärts, klangen Haim darauf doch wesentlich organischer, gegärbter und reifer als auf dem nöligen Schalala ihrer Frühphase. Der Sound dieser Stücke war einer, den ich in gewisser Weise als "klassisch" bezeichnen würde, insofern dass er viele Traditionen amerikanischer Popmusik aufsog und als gefällige, aber definierte Stücke wieder ausspuckte. Und obwohl die fertige neue Platte diese Einflüsse durchaus in ihrer DNA hat, geht sie in entscheidenen Momenten den kleinen Schritt weiter, der aus einer sicheren Kiste ein aufregendes Pop-Erlebnis macht. Wo man bei Haim bisher vielleicht Lou Reed, Dolly Parton oder Taylor Swift hörte, ist das hier nur die Basis für eine LP, die auch etwas exotischere Impulse von Leuten wie Phil Collins, Prince, Alanis Morisette, the Sweet, Patti Smith, Nick Drake oder Fleetwood Mac in sich vereint und für eine Gruppe dieses Formats einfach unglaublich kreativ ist. Wobei sicherlich auch die großartige Behandlung eine Rolle spielt, die diese Einflüsse hier bekommen. Von den vielen Instrumenten, die man auf Women in Music Pt. III hört, klingt absolut jedes fantatisch und auf den Punkt abgemischt (ausführender Produzent ist im übrigen der grandiose Rostam Batmanglij, ehemaliger Chefdenker von Vampire Weekend), ganz zu schweigen vom ebenfalls immer besser werdenden Harmoniegesang der drei Schwestern. Die haben lyrisch auch wirklich was zu sagen, obwohl das eine der wenigen Dinge ist, bei denen sie schon immer recht gut funktionierten. Zwar erschließt sich mir das vom Titel angerissene feministische Thema nur sehr selten und wenn dann eher indirekt, aber es ist auch nicht so, als bräcuhten die Songs diese aktivistische Schlagseite, um spannend zu sein. Im Gegenteil: Haim schaffen es hier, sehr ausgelutschte und bewährte Themen wie Liebeskummer, toxische Celebrity-Kultur und den kalifornischen Lifestyle als solchen ziemlich cool klingen zu lassen und auf ihre Weise neu aufzudonnern. Lediglich die obligatorische Doofe-Ex-Nummer 3 AM im Mittelteil ist in seiner Aufmachung etwas plump für meinen Geschmack. Wobei auch der das insgesamt großartige Gesamterlebnis keineswegs ruiniert und auf seine Art beeindruckend zeigt, wie toll die drei Musikerinnen hier arbeiten und wie viele Dinge es gibt, die man an diesem Album bewundern kann. Wo das für viele mit Sicherheit eher die lyrischen Inhalte sein werden und das auch definitiv seine Berechtigung hat, ist für mich der wesentlichste Faktor der, mit wie viel Finesse und Liebe zum Detail hier jeder Song komponiert wurde. Und wenn man sich dann in Erinnerung ruft, wie auswechselbar und platt diese Band noch vor fünf Jahren klang, ist das hier wirklich eine Offenbarung. Für mich als alten Skeptiker genauso wie für ihre große Laufkundschaft, die diese LP hoffentlich zu einer sehr erfolgreichen macht. Was für eine schöne Sache, dass Popmusik 2020 so klingen kann.


Hat was von
U.S. Girls
Heavy Light

Vampire Weekend
Father of the Bride

Persönliche Höhepunkte
Los Angeles | the Steps | Up From A Dream | Gasoline | Don't Wanna | Another Try | Leaning On You | I've Been Down | Man From the Magazine | Now I'm in It | Hallelujah | Summer Girl

Nicht mein Fall
3 AM

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