Mittwoch, 29. Juli 2020

Blurred Lines


Bladee - 333
[ sediert | seicht | überzogen ]

Der Punkt, an dem ich mich um einen Artikel über Bladee hätte herumdrücken können, ist eigentlich schon seit dem Ende des letzten Jahres vorbei und dass ich irgendwann mal über die Musik dieses Typen würde schreiben müssen, ist mir in den letzten Monaten unangenehm klarer geworden. Stand 2020 ist der Musiker aus Berlin, der vor einigen Jahren noch als ulkiges Spinoff auf Yung Leans YEAR0001-Label startete, nicht nur wesentlich bekannter als sein Boss geworden, sondern tatsächlich so etwas wie die Stilikone einer ganz neuen Ästhetik von Cloudrap, die nicht nur in Europa gut ankommt. Diese zu beschreiben, ist eigentlich gar nicht so schwer: Was Bladee musikalisch macht, nimmt die klassische Formel des europäischen Sad Boy-Raps, kombiniert diese mit ein paar Elementen aus Bubblegum Bass und R'n'B, um am Ende dann wie die eine Art billige 4Chan-Version von the Weeknd und Dorian Electra zu klingen. Und wenn man ein bisschen weiß, was ich von den einzelnen Ingridentien dieser Subgenres halte, kann man sich vorstellen, dass diese Art von stilistischer Aufhäufung bei mir nicht unbedingt Freudensprünge auslöst. Im Gegenteil: Lange Zeit empfand ich Bladee als einen ziemlich nervigen Post-Cloud-Hampelmann, den man um Gottes Willen nicht zu ernst nehmen durfte, weil er sonst noch Fans bekäme. Unglücklicherweise ist genau das passiert und der Schwede jetzt einer der Musiker, über die man irgendwie reden muss. Zum Glück fange ich damit zu einem Zeitpunkt an, an dem er sich anscheinend entschieden hat, halbwegs ernsthafte Musik zu machen. Oder zumindest ist das der Eindruck, den ich von seiner neuesten LP 333 bekomme. Die bisherigen Platten, die ich mir von Bladee angehört habe (viele waren es nicht) wirkten auf mich einfach nur so, als ob jemand versuchen würde, kommerzielle Musik mit dem wenigsten Maß an Aufwand, Selbstbeherrschung und Attitüde zu machen und zum Teil fühlte sich vieles davon schon wie Trolling an, so dermaßen affig klang es. Und natürlich begreife ich, dass dies zu einem großen Teil zum Zweck einer psychedelischen Ästhetik passierte, doch schaffte es dabei keines seiner Alben, auch nur ein Mindestmaß an Spannung aufzubauen. Alles schlabberte und schlurfte nur vor sich hin, was ihn von Leuten wie 070 Shake oder Porches unterschied, die mit einer ähnlichen Attitüde tolle Musik machen. Und obwohl auch 333 an diesem Punkt noch lange nicht angekommen ist, ist es doch zumindest der Schritt in die richtige Richtung. Vordergründig die Entscheidung dazu, es vielleicht mal mit etwas Songwriting oder mit ansprechender Produktion zu versuchen. Die Ergebnisse sprechen auf jeden Fall für sich. Es macht schon einen gewaltigen Unterschied, dass man im Intro von Wings in Motion eine Akustikgitarre hört, die direkt ein bisschen die unterirdischen Erwartungen subversiert oder sich in Keys to the City oder Valerie etwas anbahnt, das entfernt an eine Hook erinnert. Etwas, das es den Songs möglich macht, sich auch mal ein kleines bisschen vom jeweils nächsten abzuheben und einen Fünkchen Persönlichkeit zulässt. Dass sich vieles hier dann wieder davon absetzt, hat dann gleich eine viel größere Wirkung. Das ist ja auch irgendwie der Punkt: Bladee muss bei seiner Musik definitiv keine Angst haben, dass er vielleicht zu definiert wirken könnte. Selbst die Tracks hier, die einige seiner Superfans im Netz schon als ambitionierte Prog-Oper abfeiern, sind gerade Mal Kreidestriche in der Welt der verwischten Kanten und verschwurbelt und drogig genug ist der ganze Rest am Ende sowieso noch. Was hier passiert, ist also das Mindestmaß an Struktur und ein Anfang, nicht das Maximum. Trotzdem ist es am Ende erstaunlich, was so ein bisschen Grobschliff alles ausmachen kann. Besonders im Mixing tun sich viele kleine Momente auf, in denen ein Stück durch ein wenig mehr Bass und dynamische Lautstärkeregelung ziemlich viel gewinnt. Ein High-End-Produkt ist 333 deshalb nicht gleich, aber es passt zur Ästhetik. In den besten Momenten fühle ich mich dabei an die ganz alten Mixtape-Sachen von Leuten wie LGoony oder Yung Hurn erinnert, manchmal auch an die Pionierarbeit von Yung Lean. Allerdings meistens im positiven Sinne und immer in Bezug auf die entsprechenden Entwicklungen außerhalb der Coludrap-Bubble. Was heißt, dass hier genauso auch ein bisschen Aaron Maine und 100 Gecs drinsteckt. Insofern ist es auf jeden Fall zeitgemäß, aber das war Bladee schon immer. Die Neuigkeit ist, dass es inzwischen langsam hörbar wird.


Hat was von
A.G. Cook
Nu Jack Swung

Porches
Ricky Music

Persönliche Höhepunkte
Wings in Motion | Keys to the City | Hero of My Story 3style3 | 100s | Noblest Strive | Finder | Extasia | Only One | Swan Lake

Nicht mein Fall
Innocent of All Things | Oh Well

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