Dienstag, 21. Juli 2020

Der ewige Prototyp

 

[ klobig | erzählerisch | unbequem ]

Wenn man mich fragt, dann hätte es für ein Comeback von the Streets kein besseres Jahr geben können als 2020, das Jahr nach dem bisher größten Jahr der britischen Rapmusik. Das Jahr, nach dem nun wirklich alle zumindest in irgendeiner Weise mal über die musikalischen Exporte von der Insel gestolpert sein könnten, sei es über Sleaford Mods, Slowthai, Skepta, Stormzy, Little Simz oder meinetwegen auch Kate Tempest. Ein Haufen Künstler*innen, die in der jüngeren Vergangenheit Hiphop aus dem Vereinigten Königreich ein weiteres Mal in die internationalen Radare gepusht haben und die wahrscheinlich eines alle gemeinsam haben: Sie waren in den frühen Zwotausendern mit ziemlicher Sicherheit alle Fans von Mike Skinner. Dem definierenden MC aus Barnet, der für den Rest Europas mit Platten wie Original Pirate Material und A Grand Don't Come for Free einer der ersten war, der britischen Rap auch außerhalb seiner Heimat bekannt machte. Für seine Landsleute selbst und vor allem für die Leute, die zu dieser Zeit Teenager waren, ist Skinner darüber hinaus nicht weniger als das Sprachrohr einer Generation, das die Realität junger Leute im UK abbildete und dessen frühe Platten spätestens zu Klassikern wurden, als die Jugendlichen, die er mit selbigen so begeistere, selber anfingen mit Musikmachen. Leute, die gerade in den letzten Jahren wieder die Playlisten der ganzen Welt erobern, was den Zeitpunkt für eine Rückkehr des Meisters natürlich perfekt macht. Abgesehen davon ist dieses Comeback aber auch aus Sicht von Skinner sehr interessant, denn mit neun Jahren seit seiner letzten LP ist die große Frage auch, wie sich das Narrativ des Rappers verändert hat. Schon immer waren the Streets dafür bekannt, in ihren Songs und Alben komplexe Story-Verflechtungen zu verhandeln, die das Schicksal eines Otto Normalverbrauchenden schilderten, inklusive alltäglicher Hindernisse und Situationskomik, aber eben auch mit gesellschaftskritischer Satire und starken Kommentaren zwischen den Zeilen. Und nachdem ein äußerst turbulentes Jahrzehnt der britischen Geschichte zu Ende gegangen ist und Skinner selbst seine Dreißiger vollendete, fragt man sich zu recht, was das mit seinen Geschichten gemacht hat. Wobei die erste wichtige Feststellung ist, dass die Jugendlichkeit doch sehr aus seiner Musik gewichen ist. Früher war er immer ein bisschen einer der Typen, von denen es in jedem Film von Guy Ritchie mindestens einen gibt und der zwar die Traktion des Lebens spürt, aber dabei wenigstes zwanghaft locker bleibt. Dieser Typ ist der Mike Skinner von 2020 nicht mehr. Dessen Humor ist stattdessen sehr finster-hintergründig geworden und in gewisser Weise resigniert und abgespannt. Es geht viel um kommunkative Verfehlungen, die Schikanen moderner Technologie, schwierige Freundschaften und die enttäuschten Hoffungen der Jugend. Insofern ist das hier schon die gleiche Attitüde, nur ist das eher das düstere Reboot des Films von 2002 mit Charakteren, die alle älter und kaputter sind. Und so traurig es klingt, an diesem Album ist diese Eigenschaft das beste. Die Sache, die the Streets immer noch sehr gut können, ist es nach wie vor, Charaktere in ihren Song zum Leben zu erwecken und Geschichten zu erzählen, die schmerzhaft realistisch und unglamourös sind. Und wer für diese Art von Musik gekommen ist, wird sicher nicht enttäuscht. Musikalisch hingegen ist vieles hier nicht ganz so super. Zugegeben, auf kompositorischer Ebene war ich noch nie besonders großer Fan von Skinners Output und selbst seine Klassiker finde ich in dieser Hinsicht gerade Mal ganz okay, doch ist diese LP nochmal extra verwirrend. Gerade was die Features angeht, die es hier in so gut wie jedem Track gibt, frage ich mich oft, was diese eigentlich beitragen. Die meisten von ihnen sind andere Rapper, die außerhalb von England wahrscheinlich keine Sau kennt und von denen mich keiner wirklich begeistert, aber beispielsweise auch Idles und Tame Impala, die hier so überhaupt nicht ins Konzept passen. Und Leute wie Slowthai oder James Williamson, die zu denjenigen gehören, die am wesentlichsten von ihm beeinflusst wurden, tauchen hier leider gar nicht auf. Übehaupt ist None of Us... immer dann schwierig, wenn Skinner versucht, aus seinem bekannten und bewährten 2 Step-UK Garage-Muster auszubrechen, was auch gar nichts damit zu tun hat, dass ich prinzipiell ein Problem mit seinen Experimenten hätte. Nur sind die meisten hier einfach super unnötig und ganz schön billig an ein paar unausgereifte Songideen angeflickt. Die besten Songs hingegen sind jene, in denen den Lyrics viel Platz gelassen wird und die eher minimalistisch sind, wobei das gerne auch etwas flotter zugehen kann, wie in Eskimo Ice oder Take Me As I Am demonstriert wird. Ein besonders gelungenes Album macht Mike Skinner hier am Ende nicht, was aber auch ein bisschen damit zu tun hat, in welche Welt er hier zurückkehrt. Als großer Veteran des englischen Rap und Vorbild total vieler Musiker*innen, die seinen Style inzwischen raffiniert haben, kommt dieser inzwischen etwas rudimentär und klobig rüber. In unmittelbarer Gesellschaft der Brit-Award gewinnenden Popstars und kosmopoliten Crossover-Talente ist er ein bisschen der Trampel, der einfach nur erzählen will, was er mal wieder für einen miesen Tag hatte. Und wo ihn das in der Theorie irgendwie sympathisch und unverbraucht macht, ist es gerade nicht das beste, was britischer Rap zu bieten hat, sondern sogar weit davon entfernt. Das Resultat nach neun Jahren Pause ist also, dass die Szene Mike Skinner gerade nicht mehr braucht, was auf jeden Fall für eine gesunde Szene spricht. Nur wäre es schade, diesen Typen darüber zu vergessen, denn ohne ihn wären wir ja nicht hier. Das nächste Mal könnte man ihn also wenigsten featuren.


Hat was von
Sleaford Mods
Eton Alive

Slowthai
Nothing Great About Britain

Persönliche Höhepunkte
I Wish You Loved You As Much As You Loved Him | You Can't Afford Me | Eskimo Ice | Phone is Always in My Hand | the Poison I Take Hoping You Will Suffer | Take Me As I Am

Nicht mein Fall
None of Us Are Getting Out of This Life Alive | I Know Something You Did | Conspiracy Theory Freestyle

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