Dienstag, 19. Mai 2020

Nach der grauen Zeit

[ funky | energisch | bratzig ]

Es ist ja allgemein eine supertolle Sache, dass Little Simz 2020 auch außerhalb von Großbritannien keine Rapperin mehr ist, die man als unterschätzt bezeichnen muss. Einige prominente Features bei Damon Albarn, James BKS und Yuna reichten der Künstlerin aus Islington seit ungefähr 2017 aus, um sich ein recht ansehnliches Mainstream-Profil aufzubauen, welches sie im letzten Jahr mit ihrer insgesamt dritten Solo-LP Grey Area ausbauen konnte. Die war nach langen Zeiten von unbeachteten Dezember-Releases und Geheimtipps endlich so etwas wie ihr großer Durchbruch außerhalb der Heimat und dürfte zumindest in den einschlägigen Indie-Foren eines der beliebtesten Hiphop-Alben von 2019 sein. Und obgleich ich mich damals vordergründig sehr freute, dass eine so talentierte Künstlerin wie Little Simz plötzlich viel mehr positive Aufmerksamkeit bekam, fand ich es doch ein bisschen schade, dess dieser Hype ausgerechnet Grey Area wiederfuhr. Denn nach den großartigen Einständen, die ihre ersten beiden Platten waren, empfand ich die dritte LP ehrlich gesagt als ein bisschen lahm. Sicher, sie war zugäglicher und hatte griffigere Singles, aber war weder so schön kohärent und konzeptuell wie Stillness in Wonderland 2016 noch so bratzig und krawallig wie A Curious Tale of Trials + Persons eine Saison vorher. Vor allem fehlte ihm aber Simz' starke charakteristische Färbung, die ihr Material zuvor immer von anderen abhob. Die Britin war mit Grey Area eine weitere NoName oder Syd tha Kid geworden, die schon cool war, aber eben auch nicht mehr so einzigartig. Und klar machte mir das als Fan ihrer alten Platten ein bisschen Angst. Drop 6 ist ein gutes Jahr später nicht das Projekt, das diese Angst vollständig zerstreuen kann, doch es tut immerhin schon ganz gut daran, mich mit Simz' neuer Ästhetik zu versöhnen. Wobei das in allererster Instanz auf musikalischer Ebene passiert. Die fünf Songs hier nehmen sich des etwas trockenen, basslastigen, minimalen Sounds des Vorgängers an und ziehen ihn durch eine klangliche Frischzellenkur: Das gesamte stilistische Spektrum der Britin von softem Neo-Soul bishin zu deftigen UK Garage-Brettern wird hier durchweg aufgepeppt und klingt schon allein von den Beats hier wesentlich schmissiger. Und auch was das Rap-Handwerk angeht, geht es hier mächtig voran. Zwar gab es bereits auf Grey Area letztes Jahr wieder ein paar fetzige Ausnahme-Banger von Simz, die definitiv Bock machten, doch habe ich auf Drop 6 noch viel mehr das Gefühl, dass der klobige Hartkanten-Sound des Debüts ein bisschen zurückkehrt. Viele der Performances der Künstlerin sind kackiger, die Punchlines direkter und vor allem gibt es wieder wesentlich mehr von diesem unglaublich eigenen Flow, der ihre ersten Singles damals so besonders machte. Klar kommt dazwischen immer mal ein netter R'n'B-Refrain oder eine eher melancholische, persönliche Passage, doch funktionieren auch diese Elemente hier viel besser und gliedern sich schöner in den Gesamtklang ein. Und gerade mit letzterem löst diese EP eines meiner Hauptprobleme von Grey Area: Little Simz klang nicht wie aus einem Guss. Dort hatte sie oft das Problem, dass sie zwar stilistisch vielfältiger wurde, so diverse Einflüsse aber nicht in eine Songstruktur zusammenbringen konnte. So gab es viele ästhetisch verschiedene Songs, aber keine klare Marschrichtung. Und Drop 6 macht das wesentlich besser. Es gibt immernoch ein großes klangliches Spektrum, doch werden hier die richtigen Verbindungselemente geschaffen, die alles zusammenziehen. Das wichtigste darunter ist nicht zuletzt die Rapperin selbst, die ganz klar im Vordergrund steht und viele Hebel selbst mit ihrer Performance betätigt. Das beruhigt irgendwie und zeigt, dass sie den Biss, den sie auf ihren ersten Alben hatte, zumindest nicht verloren hat. Wobei noch immer die Frage ist, wie sehr sich das hier auch auf den nächsten Longplayer überträgt. Drop 6 ist ganz offiziell ein Projekt zwischen Tür und Angel, das als Resultat der andaunerden Quarantäne für sich steht. Und es zeigt eben nicht unbedingt zuversichtlich, wohin sich Little Simz musikalisch entwickelt. Denn so gut es in seiner Gesamtheit auch ist, es hält in meinen Augen an einer Ästhetik fest, die diese Künstlerin gerade nicht voranbringt. Und so, wie ich gerade Little Simz kenne, klingt sie in wenigen Monaten eh schon wieder komplett anders. Ihr Output bleibt also nach wie vor besonders eins: Eine Wundertüte. Was aber immerhin heißt, dass sie höchstwahrscheinlich nicht stagniert.



Hat was von
Digable Planets
Blowout Combs

Noname
Room 25

Persönliche Höhepunkte
Might Bang, Might Not | One Life, Might Live | You Should Call Mum | Where's My Lighter

Nicht mein Fall
-


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen