Mittwoch, 20. Mai 2020

More Than Just Sadness

[ seicht | selbstbewusst | aufarbeitend ]

Allgemein gesehen ist es ja die tollste Sache der Welt, dass die Themen mentale Gesundheit, Selbstbewusstsein und Empowerment gerade so ein Dauerbrenner im Mainstream-Pop sind und nicht aufhören, spannend zu sein. Vor allem viele weibliche und trans*-assoziierte Künstler*innen machen aus dieser Art von Musik gerade immer wieder ein großartiges Statement und obwohl auch die letzten Jahre schon eine gute Zeit für solche Alben waren, ist die erste Hälfte von 2020 der bisherige Höhepunkt dieser Art von Pop. Von so verschiedenen Leuten wie Halsey, Kesha, Poppy und erst letzte Woche Hayley Williams gab es in dieser Saison schon tolle Alben und viele mehr werden wahrscheinlich noch kommen. Denn so wie es aussieht, entscheiden sich gerade alle Leute und deren Großeltern dafür, ihre psychischen Komplikationen auf einem emotionalen R'n'B-respektive-Americana-Longplayer zu verarbeiten und ihren Leidens- und Heilungsprozess öffentlich einzufangen. Und klar ist das legitim, denn schwere Zeiten gibt es in allen Leben und vor allem als Popstar mit mehr oder weniger dauerhafter öffentlicher Präsenz ist es nicht immer leicht, klar im Kopf zu bleiben. Nur liegt es auch in der Natur der Sache, dass sich bei so viel Beschäftigung mit einem Thema eben dieses irgendwann abnutzt. Oder zumindest auch die anzieht, die musikalisch nicht unbedingt für solche Themen gewappnet sind. Es ist nun mal eine Sache, wenn eine großartig talentierte und erfahrene Songwriterin wie Hayley Williams Lieder über Depression und Empowerment schreibt und eine andere, wenn ein ästhetischer Pappaufsteller wie Justin Bieber das tut. Ich möchte dabei niemandem ehrlich empfundene Gefühle absprechen oder etwas "Fake-Deep" nennen, es ist nur mal Fakt, dass nicht jede*r seine Gefühle gleich erfolgreich in Musik überträgt. Und gerade in diesem Jahr ist ein gewisser kompositorischer Umgang mit mentaler Gesundheit auch zur Floskel geworden. Eine Floskel, die wenige Dinge besser beschreiben als diese neue Platte von Kehlani. Das Rezept ist dabei ziemlich eindeutig: Man braucht als allererstes eine Sache, die irgendwie Probleme verursacht und die ruhig etwas diffus sein kann. Das kann die Frustration mit dem eigenen Ruhm sein, die eigene Rolle in der Gesellschaft oder auch einfach eine generelle Motivationslosigkeit. Diese LP wählt den Klassiker und arbeitet sich an einem toxischen Ex-Lover ab. Dieser wird an verschiedenen Stellen konkret besungen, oft geht es aber auch um das Drumherum. Everybody Business beschäftigt sich mit dem Medienecho von Kehlanis Beziehung, Hate the Club spricht viel von trotzigem Hedonismus und einem schwierigen Verhältnis zu Alkohol und Can You Blame Me ist ein klassischer Lovesong, der zeigt, dass die Protagonistin über die schlimme Zeit hinwegkommt. Das alles ist für die Künstlerin sicher ein wichtiger Schritt, hat für viele Fans einen nicht zu unterschätzenden Empowerment-Faktor und ist trotz allem letztlich das Bild eines Einzelschicksals, doch fühlt sich für mich persönlich vieles hier nach einem Abziehbild an. Sehr ähnliche Entwürfe gab es zuletzt auch schon von Selena Gomez oder eben Justin Bieber (how ironic!), die nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch fast identisch waren und jene sehr einheitliche klangliche R'n'B-Tour fahren. Die fand ich schon beim ersten Mal, als Solange und Frank Ocean sie erfanden, nicht so prickelnd wie die meisten anderen, und umso mehr nervt sie in der dreißigsten Trittbrettfahrer-Version von irgendwelchen dahergelaufenen B-Promis. Wie gesagt, ich will nicht davon reden, wie echt die Motivationen hinter so einem Projekt sind, doch wenn man als Musiker*in ein Statement setzen will, dann liegt die Stategie nahe, das auch musikalisch zu tun. Wenn man so klingt wie alle anderen, kommt nämlich gerade das am Ende nicht durch. Zumindest wenn man mich fragt, ist jenes Statement ja der Grund, warum man überhaupt eine Platte wie It Was Good Until It Wasn't aufnimmt. Und insofern muss man dieser LP leider vorwerfen, dass sie schwach ist. Denn ein wichtiges Thema für ein Album macht es noch lange nicht zu einem erfolgreichen, geschweige denn zu einem hörenswerten.



Hat was von
Justin Bieber
Changes

Drake
Dark Lane Demo Tapes

Persönliche Höhepunkte
Bad News | Hate the Club | Serial Lover | Grieving | Open (Passionate)

Nicht mein Fall
Toxic | Can I | Real Hot Girl Skit | Belong to the Streets Skit | F&MU



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