Freitag, 29. Mai 2020

Damals wie heute

[ filigran | epochal | sinfonisch ]

Es ist für mich manchmal ziemlich erstaunlich, wie schnell einige Leute, die in der popkulturellen Öffentlichkeit im einen Moment das Ding der Stunde sind, im nächsten Moment verschwinden können, ohne das irgendjemand so richtig was davon merkt. Zumindest bis man dann Jahre später wieder von ihnen hört und sich plötzlich fragt, was die eigentlich die ganze Zeit gemacht haben. Mit Owen Pallett, dem großen Folk-Arrangeur des späten Zwotausender-Indie, haben wir in dieser Woche ein Bilderbuchbeispiel für dieses Phänomen am Start. Als gefragter Multiinstrumentalist und Studiomusiker für Bands wie Arcade Fire, the National und Grizzly Bear war der Kanadier vor etwa zehn bis zwölf Jahren - so zumindest meine Erinnerung - der heiße Scheiß in der schönen Welt des eingebildeten Holzfällerhemden-Indie, die ihm zu Anfang allein schon seiner exklusiven Auftragsjobs wegen aus der Hand fraß (Kontrovers wurde es später, als er anfing, auch für Taylor Swift und Linkin Park zu arbeiten). Seine noch viel feingeistigeren Soloarbeiten ernteten dabei ihrerseits viel Ruhm und wurden spätestens dann ein Ereignis, als 2010 das Album Heartlands erschien, das seinerzeit von vielen Nerds und Blogger*innen als immens wichtiges musikalisches Dokument mit ernsthaftem Klassikerpotenzial gehandelt wurde. Stand 2020 ist davon nicht mehr allzu viel übrig. Seit seiner letzten vollwertigen LP In Conflict von 2014 (die ebenfalls grandiose Kritiken erntete) existiert der Name Owen Pallett im ebenfalls ruhig gewordenen Indie-Kosmos so gut wie gar nicht mehr und als zu Ende des letzten Jahres die großen Dekadenlisten aller wichtigen Musikformate veröffentlicht wurden, tauchte Heartlands nur sehr punktuell auf. Die Welt schien den Kanadier ein bisschen vergessen zu haben, doch war das, um ehrlich zu sein, auch nicht besonders verwunderlich. Eigene Musik gibt es von ihm seit In Conflict nämlich kaum mehr. 2015 und 2016 gab es noch jeweils eine Single für eine Compilation und für Adult Swim, ansonsten war es um ihn sehr schnell überaus still. Natürlich werkelte er im Hintergrund weiter mit anderen Künstler*innen an deren Projekten und war dabei immerhin an einigen meiner Lieblingsplatten der letzten Jahre beteiligt, doch waren auch seine Auftritte da nicht mehr ganz so prominent wie vorher. Pallett war in gewisser Weise ein Dienstleister geworden, der die künstlerischen Visionen anderer erfüllte und selbst nicht mehr als Einfluss in Erscheinung trat. Ein bisschen schade war das schon, ich muss aber auch gestehen, dass ich ihn zu keinem Zeitpunkt wirklich vermisste. Und dann kam letzte Woche dieses Album. Nach sechs Jahren ohne neues Material und wenig vorläufiger PR tatsächlich ein bisschen aus dem Nichts. Ich war tatsächlich ziemlich perplex, als ich in meinem Release-Radar plötzlich die Ankündigung von Island sah und wusste erstmal nicht so richtig, was ich davon halten sollte. Ganz zu schweigen von konkreten Erwartungen an die eigentliche Musik. Als Heartland und In Conflict damals rauskamen, konsumierte ich Musik noch auf eine ganz andere Weise als jetzt und fand es schwierig, die neuen Songs mit dem Hörgefühl der alten zu vergleichen. Klanglich ist sich der Owen Pallett von 2020 mit dem von 2014 schon sehr ähnlich, doch ist es irgendwie nicht ganz dasselbe. Ein Problem ist das aber nicht unbedingt. Die Songs des Kanadiers klangen ohnehin schon immer so erwachsen, wie er selbst jetzt ist und sein Hang zur Klassik war schon seit seiner frühen Karriere eine treibende Kraft. Dass er hier also einen sinfonischen Sequenz-Longplayer zwischen orchestralen Arrangements und Songwriter-Ästhetik macht, ist also nicht verwunderlich. Und noch etwas hat sich in den letzten sechs Jahren anscheinend nicht geändert: Ich finde seine Ästhetik noch immer kein bisschen interessant. Schon als ich 2014 das umschwärmte In Conflict hörte, wunderte ich mich, warum mich eine emotional und pathetisch dermaßen aufgeladene Musik so kalt ließ, und rückblickend dachte ich einfach, meine damalige Naivität wäre daran schuld. Doch über eine halbe Dekade später sitze ich wieder hier und habe genau das gleiche Problem. Dabei erkenne ich die innewohnende Schönheit dieser Songs durchaus an. In unglaublich vielen Momenten hier baut Pallett grandiose Arrangements und herrliche Zwischentöne, die mich im Normalfall zutiefst bewegen und auch eher folkig orientierte Stücke wie Transformer und Fire-Mare sind toll komponiert. Trotzdem bin ich am Ende nur selten wirklich berührt oder emotional angesprochen davon und empfinde vieles hier lediglich als sehr aufwändige Klangtapete. Das könnte daran liegen, dass Island trotz seiner gefühlten Größe nur sehr selten wirklich auf einen Punkt kommt und eher schöngeistig rumwabert, es könnte ein unklar definierter Leitgedanke sein oder die Abwesenheit von Pallett als tatsächlicher Performer. Ganz klar definieren kann ich es aber nicht, zumal es in allen Fällen ähnliche Platten gibt, an denen mich gerade diese Faktoren begeistern. Am Ende ist für mich nur das Resultat klar, dass auch das Comeback dieses vergessenen Genies mich sehr wahrscheinlich nicht zum Fan machen wird. Ich fand ihn beim letzten Mal okay und ich finde ihn jetzt okay. Richtig klasse finde ich ihn nach wie vor immer nur dann, wenn er für andere arbeitet. Und daran hat er ja in den letzten sechs Jahren schon sehr gut getan.


Hat was von
Arch Garrison
I Will Be A Pilgrim

Sarah Neufeld
the Ridge

Persönliche Höhepunkte
Transformer | Paragon of Order | Persevernace of the Saints | ---> (iv)

Nicht mein Fall
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