Montag, 11. Mai 2020

Champions der Nostalgie

[ klassisch | barbarisch | nostalgisch ]

Es ist in Thrash-Kreisen mittlerweile lange schon kein Geheimtipp mehr, eine Empfehlung für das neue Album von Havok auszusprechen und in den zehn Jahren, die ihr Debüt inzwischen her ist, hat sich die Gruppe aus Denver für viele Fans als eine der sichersten Kisten für hochwertigen Achtziger-Metal mehr als herumgesprochen. Und das durchaus nicht von ungefähr: Wenn das Quartett mit seinen bisher vier Longplayern eines gezeigt hat, dann dass ihr Verständnis von Thrash-Nostalgie tiefer ist als das bloße Abkupfern dreckiger Riff-Strikturen und billiger Vintage-Horrorfilm-Ästhetik. Von den in Songs behandelten Themen über Artwork und Präsentation ihrer Platten bishin zur klanglichen Ausgestaltung des Masterings richten Havok alles nach den großen Vorbildern der Szene aus, die sie mit ehrerbieterischer Leidenschaft hofieren. Was sie dabei aber auch über diese Götzenverehrung hinaus spannend gemacht hat, ist ihre Fähigkeit, selbst spannende Songs zu schreiben und innerhalb ihres Klassiker-Trips durchaus eine eigene Ästhetik zu entwickeln, die sie inzwischen fast so klingen lässt wie tatsächliche Zeitreisende. Ich für meinen Teil dachte über lange Zeit sogar, dass die Band wirklich schonmal in den Achtzigern existierte und ihr neuer Output seit 2009 lediglich eine Art Comeback, ähnlich dem von Anvil in den Zwotausendern, wäre. Und obwohl diese Annahme falscher nicht sein könnte, beschreibt sie doch ein weiteres Mal sehr gut, was einen auf ihrem ganz schlicht nummerierten fünften Album erwartet. Ähnlich wie man das dieses Jahr schon bei ihren Kollegen Vader und Testament erlebt hat, überzeugt V im wesentlichen dadurch, einen oldschooligen Sound einfach sehr gut zu reanimieren und eine gut geschriebene, fetzig klingende, brutale Metalplatte vorzustellen. Schon immer waren Havok eine Band, die das prinzipiell drauf hatte, nur ist diese LP tatsächlich das erste Mal, dass ich davon so begeistert bin, dass ich meine Freude darüber in einem gesonderten Artikel zum Ausdruck bringen muss. Wobei die positiven Aspekte schon in der extrem spaßigen Komposition anfangen: So gut wie jeder Track hier kann zumindest eine starke Hook, ein paar echt knackige Riffs und teilweise auch überraschend gute Lyrics vorweisen. Wobei nicht alles dabei nur gut ist, weil es die Tradition bewahrt. Positive Überraschungen sind zum Beispiel, dass auch den Basslines von Brandon Bruce hier viel Platz eingeräumt wird und es darüber hinaus plötzlich Tracks wie Panpsychism oder Don't Do It gibt, die fast ein bisschen nach dem Neunziger-Metal von Machine Head, Marylin Manson oder Tool klingen und für die Verhältnisse dieser Band schon fast experimentell sind. Wobei das alles halb so viel wert wäre, wenn nicht auch die Performances der Platte ausgezeichnet wären. Besondere Shoutouts auf der spielerischen Seite gehen an Reece Scruggs für ein paar herrliche Gitarrenriffs (Merchants of Death, puh!) und Frontmann Dave Sanchez für eine außerordentliche Vokaltechnik, die tatsächlich viel Platz für seine Texte einräumt. Und an diesem Punkt müssen wir definitiv auch über die Produktion dieser LP sprechen, die vielleicht nicht jedem*r gleich positiv auffällt. Es ist eine durchaus zweischeidige Sache, dass Havok mit ihrer Liebe zum Achtziger-Metal teilweise soweit gehen, auch den pappigen Pre-Protools-Sound der Szene-Ursuppe nachzustellen und damit mitunter etwas dünner und weniger brutal zu klingen als ihre Zeitgenoss*innen, und in der Vergangenheit war das auf jeden Fall häufig ein Kritikpunkt meinerseits. Und obwohl sich V dieser Ästhetik definitiv nicht vollständig entledigt und an manchen Stellen weiterhin etwas trocken klingt, funktioniert das diesmal so gut wie nie zum Nachteil der Songs. Viel eher hilft es, bestimmte Instrumente im Gesamtklang herauszustellen und einzelne Performances besser zu würdigen, statt alles im bombastischen Klangteppich einer zeitgenössischen Thrash-Produktion untergehen zu lassen. An manchen Stellen bedeutet das zwar auch, dass V nicht ganz so auf die Kacke haut wie es könnte, mitunter finde ich das aber sogar besser. Es hilft, den Songs ein bisschen mehr Charakter zu verpassen und widersteht der Versuchung, für den maximalen klanglichen Knüppel die Filigranität mancher Kompositionen zu opfern. Wobei man sich nicht zu sorgen braucht: Fett genug klingt das Album am Ende trotzdem noch. Und solange das gegeben bleibt, braucht man sich bei diesen Jungs keine Sorgen zu machen.



Hat was von
Kreator
Gods of Violence

Testament
Titans of Creation

Persönliche Höhepunkte
Post-Thruth Era | Fear Campaign | Betrayed By Technology | Ritual of the Mind | Panpsychism | Merchants of Death | Don't Do It

Nicht mein Fall
 Dab Tsog


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