Freitag, 1. Mai 2020

Für eine handvoll Geigen

[ romantisch | morriconesk | nostalgisch ]

In den etwa 15 Jahren ihrer bisherigen Karriere waren Other Lives schon immer eine Formation, in der irgendwie zwei Herzen schlugen. Zum einen die der ziemlich intellektuellen und Understatement-geprägten Indiegruppe, die einen sehr filigranen Songwriting-Stil pflegte und damit zur heimlichen Lieblingsband von popkulturellen Schwergewichten wie Thom Yorke oder Philip Glass wurden. Zum anderen aber auch die der romantischen, schmalzigen Morricone-Western-Enthusiasten, die ihre skelettalen Nummern mit allerhand Streichern und ulkigem Folk-Instrumentarium zupappten und dabei mitunter sehr cineastisch unterwegs waren. Und wo es auf ihren frühen Alben, wie dem noch immer fantastischen Tamer Animals 2011, nie ein Problem war, dass diese beiden Stile koexistiterten, schien es für Other Lives zuletzt doch verstärkt in die minimalistische Richtung zu gehen. Sowohl mit der EP Mind the Gap von 2012 als auch dem nachfolgenden Album Rituals von 2015 etablierte die Band eine deutlich konzentrierte Ausrichtung, die eher von elektronischen Einflüssen geprägt war und wesentliche Bestandteile ein wenig experimenteller und unterkühlter anging. Und wo das musikalisch prinzipiell schon okay war und ich besagte Platten eigentlich ganz gerne mochte, war er schon ein bisschen schade, wie diese Verwandlung gerade dadurch stattfand, dass man sich den romantischen und großkotzigen Aspekten dieser Musik fast völlig entledigte. Es war, als würde ein wesentlicher Teil des klanglichen Charakters von Other Lives abhanden kommen, den ich sehr vermissen würde. Zum Glück nur "würde", denn so wie es auf ihrer neuesten LP aussieht, hat auch die Gruppe selbst diesen noch nicht gänzlich aufgegeben. Im Gegenteil: Nach den sehr zurückgezogenen letzten Platten, die den Western-Anteil früherer Unternehmungen immens zurückschraubten, ist For Their Love fünf Jahre später der linke Haken, der diesen nicht nur zurückbringt, sondern ihm den Umfang eines ganzen Projekts einräumt. Es wäre vielleicht ein Mü zu viel, das hier als exklusive, reinkulturelle Western-Platte zu bezeichnen, doch ist sie das definitiv mehr als alles andere. Man weiß das, sobald direkt in den ersten Takten des Openers Sound of Violence das mystische Streicher-Backing opulent anschwillt und die Zuhörendenschaft binnen Sekunden kollektiv in schmalzige Italo-Schinken aus den ausgehenden Sechzigern teleportiert. Wenn dann auch noch Jesse Tabish sein mit den Jahren sonor gewordenes Indie-Timbre beginnt, ist das Setting endgültig gesetzt und die morriconesken Bombast-Folk-Other Lives mit Pauken und Trompeten zurück. Und an sich ist das auf jeden Fall ein Grund zu Freude, denn so sehr ich die letzten Platten der Gruppe auch verteidigen muss, das hier ist vom ersten Moment an so viel gefühlvoller und romantischer als alles auf Rituals. Kitschige Spaghetti-Balladen wie Sideways, We Wait oder All Eyes - For Their Love habe ich von dieser Band dann doch etwas zu sehr vermisst, um sie hier nicht total großartig zu finden. Wobei ich auch ehrlich sagen muss, dass diese Freude nur kurz andauert. Denn wenn man erstmal die Euphorie über die neuen alten Klänge dieser LP stecken gelassen hat, stellt man relativ schnell fest, dass es viel mehr darauf eigentlich nicht zu holen gibt. Die Parts, in denen Other Lives das ganze Arsenal ihrer Kunst auffahren, sind genial, für aber auch nichts wirklich neues. Und zwischendurch gibt es immer wieder Songs wie Lost Days oder Nites Out, die eher wie müde Interpol- oder National-Kopien klingen. Nimmt man den Umstand hinzu, dass es hier insgesamt nur 36 Minuten Material gibt, ist das Ergebnis schon nicht mehr ganz so atemberaubend. Die meisten Momente sind deshalb trotzdem nicht schlecht, und ich finde es sehr cool, dass Other Lives zu diesem Sound zurückgefunden haben, doch betrachtet man Dinge wie den übergreifenden Kontext oder die Originalität von Ideen, war Rituals am Ende vielleicht doch die bessere Platte. Das alles bedeutet nicht, dass mich For Their Love enttäuscht hat und noch immer ist das hier eine Band, die selbst in ihren schwächeren Momenten unglaublich stabil klingt. Nur wäre es falsch, hier mehr als die Summe seiner Teile zu erwarten. Und dürfen wir bei aller Freude über die Rückkehr zum Western-Folk nicht vergessen, dass es eben Platten wie Tamer Animals gibt, die dafür nicht die Originalität des Songwritings opfern. Was ich letztlich eigentlich sagen will, ist dass For Their Love gut ist, aber diese Band mehr kann als das. Wenn euch diese LP also gefällt, ist das vor allem eine Einladung, das ältere Material von Other Lives auszuchecken. Denn da wird es meiner Meinung nach erst wirklich interessant.



Hat was von
Timber Timbre
Hot Dreams

the National
Boxer

Persönliche Höhepunkte
Sound of Violence | All Eyes - For Their Love | Dead Language | We Wait | Sideways

Nicht mein Fall
-


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen