Sonntag, 10. Mai 2020

Im Affenzahn

[ krachig | räudig | schnell ]

Spätestens seitdem im letzten Jahr ausgerechnet the Possessed mit ihrem fantastischen Pauken-und-Trompeten-Comeback Revelations of Oblivion mein Herz eroberten, habe ich ein bisschen Blut geleckt, was gut gemachten Oldschool-Death Metal anbelangt und bin vielleicht zum ersten mal mit echter Leidenschaft dabei, mich den Wurzeln dieses Genres zu widmen. Sicher fand ich schon vorher ein paar Sachen von Death und Morbid Angel ganz cool, wirklich begeistern kann ich mich für die ausgiebige Lore der Szene aber erst seit einier Weile, was zuletzt vor allem dazu führte, dass ich hier und da ein paar spannende Gruppen kennenlernte, die mich vorher eher weniger interessierten. Und eine der spannendsten darunter sind mit Sicherheit die ewig verhinderten Vader, die mich besonders ihrer tragischen Historie wegen fasziniert haben. An dieser Stelle ein kurzer Exkurs: Mit ihrer Gründung im Jahr 1983 ist die Band aus dem polnischen Olsztyn rein theoretisch eine der ältesten Formationen, die mit dem Begriff Death Metal assoziiert wird und technisch gesehen genauso alt die wie Genre-Urväter Possessed. Und obwohl man bei Vader erst zum Ende der Achtziger wirklich davon sprechen kann, dass sie diesen spezifischen Stil auch spielen, waren sie bereits davor eine reichlich talentierte Thrash- und Speedmetal-Band, die nur leider mit erheblichen Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Ihr gefeiertes Debütalbum the Ultimate Incantation, das mit dem renommierten Backing von Earache Records endlich Aufmerksamkeit bekam, erschien ganze zehn Jahre nach ihrer Gründung. Und obwohl Vader für die Metal-Szene ihrer Heimat und die Diversifizierung des europäischen Death Metal-Marktes immens wichtig waren, gelten sie bis heute als sekundäre Mitläufer und notorische Spätzünder. Wobei sie ihren verpennten Einstand in den letzten 30 Jahren vor allem dadurch wiedergutgemacht haben, dass sie qualitativ extrem beständig geblieben sind. Zwar hat sich ihr musikalischer Ansatz seit dem Ende der Achtziger nur minimal gewandelt, doch ihren trotzigen Oldschool-Stiefel spielen die Polen mit Stolz und vor allem ihrem Output nach 2000 eilt im Internet ein immens guter Ruf voraus. Ich für meinen Teil kann das weder bestätigen noch dementieren, denn meine Beschäftigung mit dieser Band fand im Vorfeld eher sehr punktuell statt, allerdings hilft dieses neue Album mir sehr dabei, den Gerüchten Glauben zu schenken. Als erste vollwertige LP von Vader seit the Empire von 2016 setzt es weiterhin auf die klassischen Parameter: Schroffer, dreckiger Eighties-Sound, rumpelige Gitarren, derbes Schlagzeug, räudiger Krümelmonster-Gesang und vor allem jede Menge Tempo. In den 29 Minuten, die die elf Tracks hier brauchen, performen die Polen ein Aufgebot, für das die meisten anderen Bands eine Stunde brauchen und klingen dabei in keinem Moment verkürzt oder überhastet. Im Gegenteil: Dafür, dass Vader hier so wenig Zeit schinden, finden sie extrem viel Platz für coole kompositorische Details und spielerische Kniffe, die ich bei vielen Szene-Vertretern ihrer Generation ein bisschen vermisse. Weshalb Solitude in Madness trotz seiner räudigen und brutalen Herangehensweise nie stumpf wirkt. Sicher, nicht jeder Song ist so ein Highlight wie Into Oblivion oder And Satan Wept und wenn es um klangliche Aspekte geht, finde ich das Schlagzeug manchmal ziemlich billig aufgenommen, doch kommen Vader damit nie an einen Punkt, wo es keinen Spaß mehr macht, ihnen zuzuhören. Und das ist die eigentliche Qualität dieser LP: Hier eine Band zu hören, die im absoluten Affentempo zehn Songs in 30 Minuten durchrotzt und dabei keine Gefangenen macht. Bei der es Spaß macht zuzuhören. Ich bin mittlerweile ziemlich sicher der Überzeugung, dass es dieser Aspekt ist, der mich zuletzt so an der "klassischen" Variante von Death Metal fasziniert, denn hier zeigen sich die tatsächlichen Stärken des Stils immer noch am besten. Klar ist es cool, mittlerweile Acts wie Abyssal oder Artificial Brain zu haben, die extrem progressive Ansätze verfolgen, doch ist es wichtig, die Basics schätzen zu lernen. Und falls jemand hier gerade neugierig geworden ist und tatsächlich überlegt, sich für Death Metal zu interessieren, dann ist dieses Album tatsächlich gar kein schlechter Startpunkt dafür. Zumindest wünschte ich, ich hätte damals mit sowas angefangen.



Hat was von
the Possessed
Revelations of Oblivion

Death
Scream Bloody Gore

Persönliche Höhepunkte
Into Oblivion | Incineration of the Gods | Sanctification Denied | And Satan Wept | Emptiness | Final Declaration | Dancing in the Slaughterhouse

Nicht mein Fall
-


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