Mittwoch, 27. Mai 2020

Asian Fusion

[ lärmig | rabiat | groovy ]

Es ist ein faszinierender Aufhänger, den viele Medien, die die Band Chepang in den letzten vier Jahren für die Weltöffentlichkeit entdeckten, allzu gerne nutzten, dass es sich bei dieser Formation nicht nur eine der spannendsten jungen Gruppen in der Grindcore-Szene der jüngeren Vergangenheit handelt, sondern diese darüber hinaus aus einem Teil der Erde kommt, der für seine vitale Hardcore-Community nicht gerade bekannt ist: dem mittelasiatischen Gebirgsstaat Nepal. Und wo dieser Umstand in Bezug auf die Herkunft der fünf Musiker, ihren kulturellen Hintergrund und die in ihren Songs gesungene Sprache auf jeden Fall stimmt, ist er in letzter Konsequenz doch nicht ganz richtig. Denn obwohl die Band ihre Wurzeln tatsächlich in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu hat und alle fünf Mitglieder proforma noch immer ihre alte Staatsangehörigkeit haben, emigrierete die Band bereits vor ihrer Gründung geschlossen in die USA, was kontextuell einen gewaltigen Unterschied macht. Selbst im glorreichen Zeitalter von Bandcamp und selbstgemachten Internet-Platten ist es eine Sache, aus einem ziemlich überschaubaren alternativen Untergrund in Mittelasien heraus internationale Beachtung zu erhalten und eine andere, wenn das innerhalb der wesentlich besser vernetzten Szene von New York passiert, wo Chepang inzwischen ihren Hauptstandpunkt haben. Die Sensation einer nepalesisch beeinflussten Grindcore-Band als echte Innovationskraft eines Subgenres soll das gar nicht schmälern, ich empfinde es nur als Teil der Gleichung, dass der nächste Verwandte in diesem Fall eher System of A Down als Wrust sind. Natürlich auch insofern, dass Chepang nicht nur ihre kulturelle Identität mit in ihre Musik gebracht haben, sondern auch ihre Existenz als Migranten in den Vereinigten Staaten, die ihre lyrischen Narrative seit jeher prägt. Abgesehen davon ist ihr ästhetischer Ansatz aber vor allem klanglich interessant, da vieles bei dieser Band nicht ganz so gewohnt klingt wie bei "normalem" Grindcore. Sie sind in wesentlichen Belangen etwas grooviger, verzichten in ihrem Lineup komplett auf eine Bassgitarre und haben dafür gleich zwei Schlagzeuger in ihren Reihen. Und wo das auf vorherigen Alben in meinen Augen eher dafür sorgte, dass Chepang etwas dillettantisch anmuteten, funktioniert es auf ihrer dritten LP Chattta erstmals zu ihrem Vorteil. Was aber auch daran liegt, dass sie sich hier in Sachen experimentale Ambitionen wesentlich mehr ins Zeug legen und ein paar wirklich schräge Sachen anstellen. Schon im Opener Pahilo Bhet überrascht die Band mit einem Intro, das einem extrem abgefahrenen Saxofonsolo sehr ähnlich klingt und von dem aus man diesem Album tatsächlich ein paar ernst gemeinte Jazz-Einflüsse unterstellen kann. Nicht nur, weil dasselbe Instrument über die Dauer der Platte noch ein paarmal auftaucht, sondern weil es auch kompositorisch Sinn ergibt. Zwischen dem kollektiven Grind-Kotzreiz der 13 Hauptsongs gibt es immer wieder Passagen, die sehr nach ruppigem Free Jazz (ähnlich des Entwurfs auf dem letzten Sumac-Album) anmuten. Und spätestens wenn Trishna eigentlich komplett aus der Hardcore- und Metal-Assoziation ausbricht und irgendwo zwischen Sun Ra und Merzbow verloren geht, bekommt dieser Einfluss auch Gewicht. An coolen Fremdeinflüssen war das aber noch nicht alles: Nach den 13 regulären Titeln von Chattta folgen als Surplus noch einmal vier Remixes als Bonustracks, die die LP noch einmal in eine komplett andere Richtung - namentlich eine elektronische - steuern. Hier findet dann alles von Dub über Breakbeat bishin zu Industrial und Noise einen Platz und denkt die blanke Brutalität einiger Tracks der Platte (sowie ein paar älteren) nochmal komplett um die Ecke. Und obwohl mit dem bisherigen Sound des Albums dabei komplett gebrochen wird, haut die Wendung irgendwie hin und zeigt, wie viele Ebenen diese Band tatsächlich haben kann. Wenn Chattta damit am Ende eine Sache ist, dann das Werk einer Formation, die über den Tellerrand schauen will und sehr individuell denkt, was im Grindcore ja leider Gottes immer noch eine recht seltene Angewohnheit ist. Und obwohl Chepang damit noch lange kein vollwertiges Meisterwerk schaffen und stellenweise noch immer etwas stumpf brettern, muss ich ihnen den Innovations-Punkt für diese Platte zehnfach zugestehen. Es gibt in meinem Leben recht selten eine Grindcore-Gruppe, bei der ich wirklich der Meinung bin, dass man ihre Entwicklung im Auge behalten sollte, aber bei Chepang ist das auf jeden Fall eine dringende Empfehlung. Und an dieser Stelle gleich noch eine zweite: Wenn diese Band weiterhin so interessant klingt wie hier, braucht es in Zukunft nicht mehr diesen dämlichen (und gewissermaßen ja auch unwahren) Nepal-Aufhänger, um mich von ihnen zu überzeugen. Denn gute Musik ist gute Musik, egal wo sie gemacht wird.



Hat was von
Ken Mode
Loved

Full of Hell & the Body
Ascending A Mountain of Heavy Light

Persönliche Höhepunkte
Pahilo Bhet | Andho Manis | Bhramit | Sano Dhukur | Barood | Antim Bhet | Thrishna | Pakhandi (Labi Remix) | Chatta (Wreckless Life Remix) | Samajik Suchana (Foseal Remix)

Nicht mein Fall
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