Donnerstag, 21. Mai 2020

Zehn Jahre später: Hauptsache nicht Mitte Dreißig

[ autobiografisch | persönlich | erwachsen ]

Rückblickend waren die frühen Jahre der letzten Dekade eine ungemein komische Zeit für Mainstream-kompatiblen Rap, die sich mit dem Wissen von heute wie ein äußerst seltsames Zwischenstadium für das Genre anfühlen. Es war die Phase, in der man kurz dachte, Hiphop würde den Weg des Progrock gehen, bevor einige Jahre später die Expolsion des Cloudrap alle Fronten neu steckte. Die seltsamen Trend-Fenster von Bling-Bling und Dipset waren vorbei, Aggro Berlin hatte sich aufgelöst, Bushido machte Filme mit Bernd Eichinger und in den Staaten veröffentlichte ein gewisser Kanye West gerade eine LP namens My Beautiful Dark Twisted Fantasies, die die Selbstherrlichkeit und kreative Spannweite von Hiphop völlig neu definierte. Und auch im Deutschrap spürte man damals eine ähnliche Art von Umbruchsstimmung. Der Kanye der hiesigen Gefilde hörte auf den Namen Peter Fox und schaffte es mit seinem Solo-Debüt Stadtaffe von 2008, eine sehr Mainstream-freundliche Variation von Deutschrap in die Charts zu bringen, die vor allem zeigte, wie erwachsen die Szene geworden war. Hier ging es nicht um Gang-Kriege und harte Haltungsfragen, sondern um die großen Themen des Lebens, und es wurde sich getraut, auch mal bieder und nachdenklich zu sein. Der Deutschrap-Mainstream hatte Ende der Nullerjahre seinen ersten Grönemeyer-Moment, und der zog binnen kurzer Zeit so einige Nachahmer mit sich. Da gab es den inzwischen etwas ergrauten Sido, der sich zu den Erwachsenen gesellen wollte, den schon immer recht soften Max Herre, der nochmal nach Pop-Ambitionen strebte und im Windschatten des ganzen auch einige junge Künstler wie Casper oder Tua, die für den End-Zwotausender-Untergrund der Bundesrepubik schlichtweg zu transzendent waren. Unter letzteren erlebte eines der größten Glow-Ups ein junger Rostocker MC, der im Sommer 2010 sehr plötzlich auf der Bildfläche auftauchte und es seltsamerweise ohne großes Szene-Backing schaffte, in die Charts einzusteigen. Sicher, auch Marten Lanciny war zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile unterwegs. Er brachte seine obligatorischen Auftritte bei Feuer über Deutschland, hatte mit zwei Alben bereits seit 2006 die Marke Marsimoto aufgebaut und dieser ein Jahr später auch das Real Life-Pendant Marteria hinzugefügt. Trotzdem war er innerhalb der gesamtdeutschen Community irgendwie isoliert und hatte zumindest kaum so erfolgreiche Freunde wie ein Casper oder ein Cro. Zumindest bis 2009, als gerade Peter Fox sich des Mecklenburgers annahm und ihn über Jahre hinweg mit Nachdruck pushte. Dass die beiden sich musikalisch ziemlich ähnlich waren, war dabei nur ein Vorteil dieser Zusammenarbeit, denn aus seinem zweiten Album Zum Glück in die Zukunft hört man erstmals heraus, dass er in dieser Zeit die richtigen Kontakte knüpfen konnte. Die Bubble um Seeed war seit den frühen Nullern eine Art Kartellbetrieb für talentierte Musiker*innen, die untereinander ständig kollaborierten, und in vielen Punkten profitiert Marteria hier davon. Das Produzententeam the Krauts produziert die Platte exklusiv, Miss Platnum ist als Gastsängerin auf diversen Songs zu hören und in der Feature-Liste finden sich damalige Hochkaräter wie Jan Delay, Armin Teutoburg-Weiß von den Beatsteaks und natürlich auch Peter Fox höchstselbst. Die Beteiligung solcher Schwergewichte war vor allem daran Schuld, ZGIDZ 2010 sehr schnell in die Charts zu befördern, trotzdem ist der größte Verdienst der Platte, dass es Marteria ist, der darauf ganz eindeutig im Mittelpunkt steht und sich hier einen Charakter aufbauen kann. Das war wichtig, denn auf seiner ersten LP war er vor allem eine Art Marsimoto mit menschlichem Andlitz und tieferer Stimme, der kein wirkliches ästhetisches Alleinstellungsmerkmal hatte. Was sich hier im wesentlichen verändert ist, dass der Künstler beginnt, über sich selbst zu erzählen und seine eigenen Handlungen in den Vordergrund zu stellen. Ähnlich wie auf Stadtaffe erscheint hier plötzlich ein Rapper mit sehr erwachsenen Problemen und Ängsten, der über die Hürden des Alltags, vergangene Träume und unschöne Realitäten abseits von Gang-Klischees schreibt. Schon der Opener Endboss packt dieses Thema direkt beim Schopf und rattert in Zeitraffer die bisherige Biografie des Marten Lanciny durch, die quasi als Exposition für die folgenden Narrative dient. Danach ist klar, dass die Adoleszenz-Nummer größtenteils durch ist. In der Leadsinge Verstrahlt träumt der Erzähler vom Ausstieg aus der alltäglichen Ödnis, Amy's Weinhaus und Wie mach ich dir das klar beschreiben tragische Lebenschicksale mit Galgenhumor, Du willst streiten ist der Soundtrack einer in die Brüche gegangenen Beziehung und in Sekundenschlaf wird das Thema Altern schlussendlich komplett aus dem Subtext geholt. Zum Glück in die Zukunft ist das Album jedes durchschnittsdeutschen Mannes Anfang 30, das irgendwo zwischen begonnener Lebenserfahrung, Resthedonismus und Stagnation seinen Platz in der Welt sucht. Eine Ästhetik, die hier so gut formuliert ist, dass selbst ich als damals 13-jähriger ein bisschen verstand, was damit gemeint ist (und auch jetzt, noch immer recht weit von diesem Alter entfernt). Sicher waren es vor zehn Jahren nicht diese Faktoren, die mich zum Kauf der Platte animierten, wohl eher die Tatsache, dass viele meiner Lieblingskünstler aus dieser Zeit hier mit am Start sind. Doch es ist im Nachhinein das, was ich an Zum Glück in die Zukunft noch immer ungemein schätze. So sehr, dass ich es manchmal sogar ein bisschen darauf reduziere. Denn obwohl das Narrativ des resignierten und alternden hier oft im Vordergrund steht, gibt es auch viele Tracks, die daraus ausbrechen. Alles verboten, Kate Moskau oder Marteria Girl sind thematisch komplett aus dem Kontext gezogen und erinnern eher noch an den Marteria vom Debüt, sind deshalb aber nicht unbedingt schlechter. Und sie zeigen, dass sich diese Platte in der Schwebe befindet zwischen dem ulknudeligen Marsimoto-Zeug und dem gemütlichen Hiphop-Papa Lanciny von heute. Was sich hingegen verändert hat, ist wie sehr ich einzelne Stücke als reine Songs mag. Endboss und Louis waren vor zehn Jahren vielleicht meine Lieblingstracks, inzwischen mag ich sie mit Abstand am wenigsten. Und Marteria Girl und Seit dem Tag als Michael Jackson starb sind schlicht und ergreifend mies gealtert. In meiner Gunst gewonnen haben stattdessen eher die Stücke, bei denen die bombastische Krauts-Produktion sich bezahlt macht und die elektronischer gehalten sind. Verstrahlt ist in meinen Augen als Single-Hit unsterblich geworden, Sekundenschlaf und Veronal gehen musikalisch herrlich tief (Peter Fox' Hook in Sekundenschlaf ist eine seiner besten!) und Kate Moskau und Du willst streiten sind aus einer erzählerischen Rap-Perspektive einfach ziemlich genial. Ein kleines Guilty Pleasure (und das passt in diesem Fall tatsächlich sehr gut) ist darüber hinaus Alles verboten, hauptsächlich aber wegen des absolut kranken Features von Casper (diesen Flow hat er heute nicht mehr drauf). Insgesamt muss ich dabei sagen, dass Zum Glück in die Zukunft 2020 nicht mehr ganz so gut klingt wie vor zehn Jahren, aber immer noch grundsolide ist. Und dass Marteria seitdem nie mehr so fokussiert und klar auf einem Album war, steht für mich ebenfalls fest. Es ist im Nachhinein absolut nachvollziehbar, warum sein Durchbruch 2010 gerade mit dieser LP kam und warum es später nicht abwegig war, es mit einem Sequel zu versuchen. Das hier ist eine Platte, die ganz klar Identität schafft und einen Künstler positioniert. Und so eine machen die meisten Leute eben nur einmal, wenn überhaupt. Obwohl ich es Marteria nicht absprechen würde, mit 50 nochmal ein Opus Magnum zu schreiben, so gut wie er hier schon im Älterwerden ist.



Hat was von
Miss Platnum
Glück & Benzin

Peter Fox
Stadtaffe

Persönliche Höhepunkte
Verstrahlt | Amy's Weinhaus | Du willst streiten | Kate Moskau | Alles verboten | Veronal (Eine Tablette nur) | Sekundenschlaf

Nicht mein Fall
Endboss | Louis


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