Samstag, 12. Mai 2018

Hühner, Mopeds, Marijuana




















In Zeiten, in denen Kandidaten wie Yung Hurn, Gringo44 oder Crack Ignaz wichtige Impulsgeber in der deutschsprachigen Rap-Szene geworden sind, mag es so scheinen, als wäre die Kunst, seltsam zu sein, eine ziemliche Neuerung im Game. Doch zum Glück gibt es auch alle paar Jahre wieder eine neue LP von Marsimoto, die einen daran erinnert, dass es diesen Typen gibt, der Weirdness und Deutschrap schon seit über fünfzehn Jahren gewinnbringend verbindet. Sein inzwischen fünftes Album ist Verde nun, und mittlerweile kann man von ihm definitiv als Institution sprechen. Wenn man nach meiner persönlichen Meinung fragt, ist er das inzwischen sogar mehr als sein Alter Ego Marteria, der zuletzt eher damit beschäftigt war, seine Männerfreundschaft mit Campino zu pflegen und sich die Plauze zu streicheln. Dass sein letztes Album Roswell so dermaßen spießig war, machte mir ein bisschen Sorgen, da ich befürchtete, dieses Setting würde sich eventuell auch auf die Musik von Marsi übertragen, dessen Output ja durch eine gewisse Kindsköpfigkeit quasi definiert ist. Ein Verlust selbiger hätte diese Platte nicht nur sehr langweilig gemacht, sondern eigentlich gleich komplett überflüssig. Doch nachdem ich Verde nun in seiner Gesamtheit hören konnte, kommen mir diese Bedenken eher ein wenig albern vor. Denn dass Marsi auch hier nach wie vor Marsi ist, versteht sich absolut von selbst. Nicht nur das, in meinen Augen steigert sich der Rapper hier im Vergleich zu seinen Vorgängern noch einmal ein kleines Stück. Schon seine letzte LP Ring der Nebelungen von 2015 war bis dato mein Lieblingsalbum von ihm und rein musikalisch ist dieser Nachfolger ihr mindestens ebenbürtig, hätte sich der Rostocker hier nicht noch so viele coole Extras überlegt. Zum Beispiel die Sache mit den Features. Dass es überhaupt Gäste auf einem seiner Projekte gibt, hat es an sich schon lange nicht mehr gegeben und eigentlich fand ich das bisher auch sehr passend. Als vom normalsterblichen Rap-Game losgelöste Kunstfigur tat Marsimoto gut daran, sich nicht für irgendwelche Eintagsfliegen aus seinem Kosmos zu begeben. Und zunächst sorgte das bei mir auch für Skepsis ob der doch zahlreichen anderen Künstler*innen auf Verde. Doch der Trick, mit dem er hier arbeitet, macht diesen Move am Ende unglaublich symphatisch. Alle Gäste auf dem Album performen ebenso wie Marsi selbst unter Pseudonymen, was nicht nur die Erwartungshaltung verschiebt, sondern in den jeweiligen Tracks auch zu einem netten Ratespiel wird. Im Sinne dieser Idee möchte ich in diesem Post auch keine der Identitäten preisgeben, nur soviel sei gesagt: Nicht alle sind so einfach wie ein Menschenfreund88 oder ein Walking Trett. Was aber viel wichtiger ist: Die Features tragen wirklich immens viel zum Erlebnis dieser Stücke bei. So wäre beispielsweise Immer wenn ich high bin ohne den Part von Walking Trett nur halb so aufregend und Vespa Gang wird mit der Hook von Jadula Rasa erst zum richtigen Banger. Wobei man auch in keinem Moment sagen kann, dass die Gäste ihrem Host hier die Arbeit abnehmen. Die besten Sachen hier kommen nach wie vor vom Marsianer selbst. So ist Go Pro gewissermaßen das digitale Gegenstück zu Mein Kumpel Spalding, Chicken Terror eine bessere Veganismus-Hymne als alles von Morissey, der Titelsong die universelle Punchline-Maschine mit einigen der besten Zeilen des Jahres ("Es heißt Soße nich Soose!") und Solang die Vögel zwitschern gibt's Musik am Ende sogar einen ordentlichen Klumpen Pathos. Musikalisch ist dabei festzustellen, dass Verde vielleicht das bisher elektronischste Album von Marsi ist und teilweise, wie in Vespa Gang oder dem Titelstück, sogar ziemliche Club-Ambitionen hat. Insgesamt kann man auch jedes Mal wieder betonen, dass egal mit welchem Projekt Marten Lanciny auch gerade arbeitet, er ein einmaliges Händchen für die Auswahl von Producer*innen hat. Die Beats, die hier wie seit langem schon von Green Berlin kommen, sind ein weiteres Mal erste Sahne, was sich allein schon durch die Auswahl der Samples und die vielen Details im Mixing zeigt. Selbst wenn auf der ganzen LP niemand rappen oder singen würde, wäre sie trotzdem ein ziemlich solides Stück Musik. Was letztendlich hier aber die Faszination ausmacht, ist wie alles zusammenkommt: Marsis wie immer naiv-bescheuterte Lyrics, die tollen, handverlesenen Features und das großartige klangliche Begleitmaterial. All das verschmilzt hier wieder mal zu einem in der deutschsprachigen Pop-Landschaft einzigartigen Erlebnis und summiert sich unterm Strich erneut zum bisher besten Album des Marsmenschen aus Rostock.






Persönliche Highlights: Samstag der 14te / Go Pro / Verde / Immer wenn ich high bin / Chicken Terror / Der beste Freund des Menschen / Hollyweed / Aus dem Nebel / Friede sei mit dir / Vespa Gang / Solang die Vögel zwitschern gibt's Musik

Nicht mein Fall: -

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