Mittwoch, 23. Mai 2018

Molekularer Ketchup





















Für die zweite Hälfte der 2010er-Jahre in der elektronischen Musik ist Jon Hopkins so ein bisschen das, was James Blake für deren erste Hälfte war: Mehr ein Phantom als ein Künstler, der sich eher bedeckt hält und nur selten neues Material herausbringt, welches allerdings ab Erscheinen direkt als die neue Offenbarung digitalen Feingefühls definiert wird. Und obwohl der Brite bereits seit den späten Neunzigern Musik macht, ist das komischerweise erst jetzt so richtig der Fall. Sein letztes Album Immunity, das zu diesem Zeitpunkt auch schon fünf Jahre her ist, ist bis heute ein wahnsinnig abgefeiertes Projekt, das mittlerweile bereits einiges an Legendenbildung erfahren hat, unter anderem eben weil in den Augen vieler Fans seitdem keine bessere elektronische LP mehr erschienen ist. Dass ihr Schöpfer sich nun so lange Zeit für neue Musik gelassen hat, verstärkt diesen Mythos natürlich noch. Und zwar sowohl den von Immunity als auch den dieser neuen Platte. Bereits wenige Tage nach dem Release von Singularity las man die ersten Kommentare der Ultras, wie viel besser Hopkins hier nochmal geworden sei, dass hiermit nun definitiv der Höhepunkt elektronischer Popmusik in dieser Dekade gekommen sei und dergleichen mehr. Auf den ersten Blick klingt das sehr nach Hype-Gelaber, doch nachdem ich das Album nun gehört habe, kann ich zumindest verstehen, woher dieses Ansinnen kommt. Denn wenn Jon Hopkins eines definitiv nicht ist, dann ein überbewerteter Poser. Schon auf Immunity zeichnete sich ab, dass sein Verständnis von Komposition sich schon im Ansatz von dem unterscheidet, was der Großteil elitärer Elektro-Producer*innen wie in den letzten zehn Jahren so ausgeheckt hat. Die Art, wie der Brite mit Klangeffekten wie Drops, Percussion und Bässen umgeht, ist wahnsinnig experimentell und zeugt von kreativen Kompetenzen jenseits der Überlagerung von Tonspuren. Und dass diese auf Singularity noch wesentlich stärker zum tragen kommen als auf dem Vorgänger stimmt ebenfalls. Nur sollte man über all diese Lobhudelei nicht den Kopf verlieren: Dass Jon Hopkins Dinge anders macht, heißt ja nun auch nicht gleich unbedingt, dass er sie besser macht. Denn aus der Perspektive des Laien ist das hier am Ende eben trotzdem nur ein ziemlich gutes und sehr apartes Elektro-Album. Klanglich ist das, was hier passiert auch nicht groß anders als das, was man schon von Moderat und Andy Stott kennt, nur eben das entscheidende bisschen intelligenter. Aber wenn man keine Ahnung von der Materie hat, ist einem das meistens auch egal. Aphex Twin macht auch unglaublich schlaue Musik, die trotzdem nicht immer gut klingt. Ein bisschen so ist es auch hier. Zwar muss ich Hopkins Probs dafür geben, dass er versucht hat, seine sehr komplexen und grenzgängerischen Elemente in Songs einzuarbeiten, die trotzdem nicht zu avantgardistisch klingen, allerdings entstehen gerade an diesen Stellen manchmal Schwierigkeiten. So erinnert der eröffnende Titeltrack beispielsweise strukturell nichts anderes als ein ziemlich langweiliger Postrock-Standard, wie ihn sich heutzutage nicht mal mehr Collapse Under the Empire trauen würden und wenn in Feel First Life die Choral-Passagen einsetzen, ist der cineastische Howard Shore-Kitsch in vielen Momenten trotz technischer Brillianz doch etwas zu viel des Guten. Interessant wird es stattdessen immer gerade dann, wenn Hopkins ganz subtil und unauffällig die ein oder andere völlig absurde Idee einfließen lässt, die erst nach einer Weile wirklich auffällt. So ist es wahnsinnig fanzinierend zu hören, wie er in Emerald Rush Bassdrops einsetzt oder wie in Neon Pattern Drum ein Teppich aus Shuffle-Beats entsteht. In diesen Momenten ist der Brite wie ein Gourmetkoch, der mit Pinzette und feinster Handarbeit Zutaten kombiniert, sodass einzigartige Kreationen entstehen. Bis auf die Tatsache, dass er hier zeitweise eben doch noch gerne auf Ketchup zurückgreift. Singularity ist dabei in jedem Fall trotzdem ein sehr gutes Album mit vielen Details, einer unmenge Fingerspitzengefühl und tollen klanglichen Eindrücken. Der Schönheit letzter Schluss in Sachen Granularität von elektronischen Sounds ist es aber in meinen Augen nicht. Auch wenn Jon Hopkins es definitiv drauf hätte, diese LP zu machen.






Persönliche Highlights: Emerald Rush / Neon Pattern Drum / Everything Connected / C O S M / Echo Dissolve / Recovery

Nicht mein Fall: Singularity

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