Dienstag, 15. Mai 2018

Das Ende der Beschwerde




















So, da wären wir also. Es ist Mai 2018 und ich schreibe meinen ersten Artikel über Iceage. Für euch als Leser*innen dieses Artikels ist das sicher keine große Sache, für mich als dessen Schreiber aber ein monumentaler Akt der Versöhnung. Niemand weiß es so wirklich, doch mit den Postpunkern aus Dänemark führe ich bereits seit dem Beginn dieses Formats ein Verhältnis, das gelinde gesagt als schwierig beschrieben werden kann. Um genau zu sein war die unter Blogger*innen eigentlich schon immer sehr beliebte Band mir stets ein gefundenes Hassobjekt, an dem ich meine negative Energie auslassen konnte und bei der ich die ganz wüsten Beschimpfungen auspacken durfte. Ihre ersten beiden Alben finde ich bis heute absolut furchtbar, da sie für mich unmittelbar jene Form von Avantgarde-Rock repräsentieren, bei der von Kunst einfach nichts mehr zu spüren ist, sondern die Musik nur noch in bloße Tortur mündet. Iceage waren experimentell ohne jede Ausprägung und ohne Statement und obwohl ich obskure Sounds dann und wann auch über alle Maßen schätze, kam mir bei diesen Jungs irgendwie immer das kalte Kotzen. Das führte unter anderem so weit, dass ich mir ihre dritte Platte Plowing Into the Field of Love damals gar nicht anhörte. Was sich im Nachhinein übrigens als ein Riesenfehler herausstellte. Denn obwohl ich auch diese LP alles andere als gut finde, stellte sie 2014 den Wendepunkt in der Karriere der Dänen dar, der letztendlich dazu führte, dass ich mittlerweile eigentlich ganz gut mit ihnen kann. Aus einer Laune heraus begannen sich Iceage damals nämlich mit Oldschool-Pop zu beschäftigen und brachtem ihrem infernalischen Getöse vorsichtig Doo-Wop, Rockabilly, British Invasion und Motown-Versatzstücke bei. Das führte zu einer offeneren und tatsächlich vernünftig experimentellen Ästhetik, die spannend war und die es nun nur noch zu erproben galt. Auftritt Marching Church. Das noch im selben Jahr gegründete Nebenprojekt des Sängers Elias Bender Rønnenfeldt wurde in der Bandpause von Iceage zur Spielwiese jener Ästhetik, in der man die Grenzen dieses Sounds austestete und dabei auch vor jeder Menge Kitsch nicht zurückschreckte. Das alles funktionierte auch sehr gut und ehe ich michs versah, war ihr Debütalbum This World is Not Enough unter meinen zehn liebsten Platten von 2015. Spätestens da begann die Sache für mich aufzutauen. 2016 landete auch die zweite Marching Church-LP in den besten dreißig Alben, womit endgültig klar war, dass hier doch noch Potenzial steckte. Dieses musste sich nur noch auf das Konzept der Originalband übertragen, was Beyondless für mich zum ultimativen Test machte, ob ich diese Gruppe am Ende vielleicht doch mögen könnte. Und das Ergebnis ist definitiv aufregend. Denn wenn man eines über diese Platte sagen kann, dann dass Iceage hier nicht mehr dieselben sind wie vor der Pause. Wo früher noch überall Hardcore- und Industrial-Bezüge hergestellt wurden und die Disharmonie das scheinbare Prinzip dieser Musik war, drängt hier so gut wie jeder Song in Richtung Pop und wird dabei nur von der Entscheidung aufgehalten, wie sehr die vier Musiker ihn Pop sein lassen. Das Instrumentarium hier ist noch größer als auf Plowing Into the Field of Love und eindeutige Melodien gibt es eigentlich überall. Dass das alles in Verhältnissen zu betrachten ist, sollte aber dennoch klar sein. Der Sound hier ist nach wie vor sehr klumpig, in ihrem Spiel sind die Akteure nicht zimperlich und auch mit der klarsten Hook im Rücken würde Elias Rønnenfeldt noch immer klingen wie ein schlechter Nick Cave-Imitator mit Lokalanästhesie. Der Unterschied hier ist aber, dass das Songwriting diesmal stimmt. Iceage haben auf Beyondless den Balancepunkt gefunden, in der die Kombination aus nostalgischem Kitsch, experimenteller Freakness und Pop-Gloria ziemlich gut miteinander harmoniert. Nicht immer perfekt, aber um Welten besser als auf allen Vorgängern dieser LP. Dabei sind Fremdeinflüsse anderer Künstler*innen ein wichtiger Bestandteil. So ist das Doppel aus Hurrah und Pain Killer zur Eröffnung eine Fülle an fantastischen Classic Rock-Momenten, die an die Rolling Stones, Tom Petty oder auch Mando Diao erinnern, Catch It und Take It All klingen extrem nach den ganz alten Stooges, Showtime hat die klangliche Zerbrochenheit eines Tom Waits-Songs und Thieves Like Us geht mit seinen Retro-Bezügen schon fast bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Besonders originell ist das alles zwar nicht, aber es hat wenigstens Charakter und einen wirklich schlechten Song sucht man hier ebenfalls vergeblich. Für eine Band, deren Existenz ich bis vor wenigen Jahren noch am liebsten geleugnet hätte, ist das schon eine ganze Menge. Wenngleich dieser extreme Umschwung meiner Meinung auch aus einem radikalen Umschwung in der Musik von Iceage resultiert. Wenn am Ende aber alle damit glücklich sind, kann man das ja auch schon mal machen. In meinen Augen jedenfalls haben sich die Dänen mit dieser LP selbst mächtig aufgewertet. Damit sie dieses Jahr in meine besten 30 kämen, müsste zwar noch ein klein wenig mehr passieren, aber im Moment scheint das zumindest nicht mehr unmöglich. Und eine Band mehr gefunden zu haben, die ich nicht mehr doof finde, ist eigentlich noch ein viel größeres Glück.






Persönliche Highlights: Hurrah / Pain Killer / Catch It / Take It All

Nicht mein Fall: the Day Music Dies

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