Freitag, 4. Mai 2018

Es geht voran




















Wenn man die Nerven von 2018 verstehen will, kommt man mittlerweile um eine Klarheit nicht mehr herum: Sie sind definitiv keine Punkband mehr. Den aufmerksamen Hörenden wurde das ein bisschen bereits auf ihrer letzten Platte Out deutlich, auf der die Stuttgarter sich musikalisch Räume öffneten und vom grantigen New Wave-Staccato in weitläufigen Jamrock übergingen, doch so richtig wurde einem die Tragweite des ganzen erst später klar. Die klangliche Vergrößerung auf dem Vorgänger verwechselte ich seinerzeit eher mit Ideenlosigkeit und obwohl ich mit der LP bis heute nicht so richtig warm geworden bin, kapiere ich inzwischen durchaus, worum es der Band dabei eigentlich ging. In Interviews betonen die drei Musiker mittlerweile regelmäßig, dass sie sich viel weniger als lyrische Formation sehen als ihnen die Kritik (unter anderem auch ich) das unterstellt und dass sie stilistisch auch weiter denken als im am Ende doch sehr engen Postpunk-Kontext. Zunächst fand ich diese Aussicht ehrlich gesagt etwas beunruhigend und zunächst waren mir die ersten Singles von Fake auch nicht wirklich koscher, doch seit einigen Wochen hat sich meine Meinung doch etwas geändert. Ein zweites Fun würde es von ihnen sowieso nicht mehr geben, selbst wenn sie es versuchen würden, und dass diese drei Herren wesentlich mehr können als stumpfen Krach, zeigen sie allesamt seit Jahren in diversen Nebenprojekten. Und als im April dann mit dem Titelsong auch noch die letzte Auskopplung erschien, war ich definitiv optimistisch. Die Nerven brauchten einen neuen Kurs und wie dieser Track zeigte, funktionierte der auch. Die Frage ist nur: Was für Musik macht diese Band jetzt eigentlich? Den Sound von Fake stilistisch festzunageln, ist einigermaßen schwierig und kann mit klassischen Genre-Begrifflichkeiten nur unzureichend gefasst werden. Die Basis bildet ein kleiner Rest des alten Stils, der hier auf verschiedenen Songs beliebig kombiniert wird. So spielt Niemals großzügig mit Shoegaze-Gitarren, Dunst erinnert ein wenig an den Postrock von Bands wie Blueneck und Sinfuroco, den Titelsong könnte man fast als poppig beschreiben und Roter Sand zitiert leicht die Stoner-Einflüsse des letzten Albums. Und obwohl es dabei lärmige Stücke wie Frei und Aufgeflogen gibt, ist die Grundstimmung hier eher verhalten und leicht. Von allen Platten der Nerven ist Fake definitiv die bisher ruhigste. Wo ich das früher schade gefunden hätte, passt es hier aber sehr gut zu den Kompositorischen Entscheidungen der Band. Platz für Nuancen ist überall dort, wo nicht alles mit rabiaten Jams zugekleistert wird und mitunter tun sich, wie beim Klavier im Titelstück, großartige Momente auf. Gleichzeitig ist es faszinierend, Rückbezüge auf die ganz alten Nerven-Platten zu beobachten, die hier wieder hochkochen. So hätte Fake mit seinen kaskadischen Noise-Riffs klanglich eigentlich sehr gut auf Fun funktioniert und bei Skandinavisches Design muss ich persönlich sogar an einige Songs von Asoziale Medien denken. Und spätestens was ihren Charakter als Band angeht, bleiben sich die Drei hier treu. Das klassische, minimale Instrumentarium bleibt bis auf wenige Ausnahmen intakt und an Dinge wie HiFi-Produktion oder Edel-Redording ist auch bei LP Nummer fünf noch immer nicht zu denken. Am Ende sind es vor allem letztere Dinge, die Fake für mich irgendwie sympathisch machen, obwohl die Nerven spätestens mit diesem Album nicht mehr der Star-Act zum anfassen ist, der auch nach seiner ersten US-Tour noch nach Kellerclub klingt. Viel eher haben sie mit dieser Platte hier ihren Logenplatz im Feuiletton eingelöst, auf dem sie zwar noch immer unbequem sitzen, aber die gute Lage durchaus genießen. Und so lange, wie sie sich dagegen gesträubt haben, ist das mittlerweile auch echt okay. Denn irgendwann wird das Punker-sein eben doch einfach nur unglaubwürdig und peinlich. Die Nerven haben die Ausfahrt mit Fake im genau richtigen Moment genommen. Jetzt müssen sie den Weg nur weiter finden.






Persönliche Highlights: Neue Wellen / Niemals / Frei / Dunst / Aufgeflogen / Der Einzige / Skandinavisches Design / Explosionen / Kann's nicht gestern sein / Fake

Nicht mein Fall: -

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