Dienstag, 5. Mai 2020

Das Jurado-Paradox

[ seicht | sanftmütig | bescheiden ]

Es ist mittlerweile acht Jahre und fünf Longplayer her, das Damien Jurado in mein Leben trat, und obwohl dieser Zeitraum für seine Karriere, die mittlerweile in ihre vierte Dekade geht, nur ein ziemlich unbedeutender sein dürfte, habe ich persönlich mittlerweile das Gefühl, ein ganzes Stück des Weges mit dem Songwriter gegangen zu sein. Was sich vor allem daran festmachen lässt, wie sehr sich seine Musik in dieser Zeit verändert hat. Als ich 2012 auf seine Songs stieß, veröffentlichte er gerade Maraqopa, den ersten Part seiner psychedelischen Album-Trilogie des gleichen Namens, die er nun inzwischen weit hinter sich gelassen hat. Seit einer ganzen Weile steckt er nämlich bereits in einer gänzlich neuen musikalischen Schaffensphase, die circa 2018 mit der LP the Horizon Just Laughed begann und die ich als seine zweite Stille Periode bezeichne. In dieser kehrt er zurück zum sehr minimalistschen, sanftmütigen Songwriter-Folk, den er Anfang der Zwotausender erstmals auf Platten wie Rehearsals for Departure oder Where Shall You Take Me erforschte und der gewissermaßen sein "klassischer Stil" geworden ist. Denn obwohl seine Karriere zuletzt mit den Maraqopa-Alben neuen Aufwind bekam, sind es nach wie vor diese Releases, die sich in seiner Fanbase der größten Beliebtheit erfreuen. Und es ist leicht zu erkennen, warum. In jener ersten stillen Phase entstand der unglaublich intime frühe Sound von Jurado, der in seinem Minimalismus extrem emotional war und die federleichte Tragik von Simon & Garfunkel mit der gesanglichen Schwere eines Neil Young verbanden. Einen Stil, den er seit einigen Jahren zu reanimieren versucht. Verändert hat sich dabei lediglich, dass er zwischendurch einmal in die Psychedelik und zurück gereist ist, weshalb immer noch ein paar zärtliche Orgelparts und Bongos hier und da auftauchen und die Stimmung generell gehobener ist. Zum besser oder schlechter der individuellen Platten trägt das allerdings wenig bei, und als the Horizon Just Laughed 2018 in diese Unternehmung startete, klang das tatsächlich verheißungsvoll. Die Songs hier waren filigran und dünn wie Papier, aber die Komposition stark und unterhaltsam, was in manchen Momenten sogar den Style aufwertete, den er hier aus den Zwotausendern übertrug. Mit In the Shape of A Storm ein Jahr später ging es allerdings steil bergab. Indem plötzlich das notwendige Songwriting fehlte, wurden die Tracks darauf in den meisten Fällen höllisch langweilig und die fast gänzlich akustische Ausrichtung des Albums half da wenig. Weshalb es kein Wunder ist, dass Jurado hier mit What's New, Tomboy? in die entgegengesetzte Richtung steuert. Auf den zehn Titeln hier gibt es wieder mehr zusätzliche Instumente, eine aufwändigere Produktion und eine Tracklist, die zumindest auf ein Mindestmaß an Abwechlung aus ist. Und ein bisschen hilft das hier auf jeden Fall. Nur nicht wirklich so, wie das vielleicht die ursprüngliche Idee war. Denn das Problem mit dem mangelhaften Songwriting bleibt auch hier irgendwie haften. Die wenigsten Stücke auf Tomboy sind aufgrund ihrer eigentlichen Komposition interessant, was nicht dadurch besser wird, dass sie von einer ganzen Band gespielt werden. Gerade auf üppigeren Tracks wie Birds Tricked Into Trees oder When You Were Few, die meistens auch sehr klinisch und gemächlich abgemischt sind, klingt Jurado ein bisschen wie ein schunkeliger Dadrock-Star, der routinemäßig langweilige Songs aufnimmt, weil sein Name über jede Kritik erhaben ist. Eine Entscheidung, die künstlerisch das Übelste in ihm hervorbringt und die ich nicht gutheißen kann. Wobei eben nicht alles hier nach diesem Muster funktioniert, was uns zum Paradox dieser LP bringt. Denn nachdem man beispielsweise direkt im Opener mit so einem Eric Clapton-Mist wie Birds Tricked Into Trees bedient wurde, sind es gerade die filigranen, akustischen Nummern wie Ochoa oder Francine, die diesmal positiv herausstechen. Die Rechnung funktioniert also genau andersrum als beim Vorgänger. Wobei diese Kritik nicht einfach damit zu dementieren ist, dass ich einfach mit nichts zufrieden bin. Es ist eben nur eine große Frage von kontextuellen Zusammenhängen. Damien Jurado schreibt mit Leichtigkeit gut minimalistische Folk-Balladen, die aber immer dann langweilig werden, wenn zu viele davon auf einem Punkt konzentiert werden. Sie sind aber auch nach Jahren noch immer seine beste Geheimwaffe auf Platten, die in seltsame Richtungen abdriften. In diesem Fall zeigen sie sehr gut, dass es bei diesem Typ mehr braucht als eine miese Backingband, damit er zu Norah Jones wird. Und das ist vielleicht die positive Nachricht auf einem Album, das vor allem zeigt, wie einer meiner Lieblingsmusiker gerade in der Mittelmäßigkeit versackt. Wäre aber nicht das erste mal bei ihm und bisher hat er immer irgendwie die Kurve gekriegt.



Hat was von
Adrianne Lenker
Abysskiss

Neil Young
Hitchhiker

Persönliche Höhepunkte
Ochoa | Francine | Sandra

Nicht mein Fall
Birds Tricked Into the Trees | Fool Maria | the End of the Road


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