Montag, 10. August 2015

But in the Long Run...

TITUS ANDRONICUS
the Most Lamentable Tragedy

Merge Records
2015
















Das hier wird jetzt kein einfaches Review. Titus Andronicus machen es einem nie einfach. Diesmal ganz besonders nicht, haben wir es doch bei the Most Lamentable Tragedy mit einem 92-minütigen, 29 Tracks starken Konzeptalbum der Band aus New Jersey zu tun. Schon seit ihrem 2010 veröffentlichten Bürgerkriegs-Epos the Monitor kennt man das ja von ihnen, diese neue Platte dürfte trotzdem noch einen Zacken schärfer sein. Vor allem, weil sie zum ersten Mal auch in Sachen Instrumentierung und Song-Strukturen Ambitionen zeigt, die über die vieler Genre-Kollegen hinaus gehen. Die "Story" an sich ist dabei genauso wenig überschaubar wie die riesengroße Menge an Material, das die Band hier auf den Longplayer packt. Da wechseln sich standardmäßige Hit-Granaten mit ineinander fließenden Interludes ab, die wiederum Stücke umgarnen, die schnell mal die Neun-Minuten-Marke knacken. Über einen Mangel an Vielseitigkeit kann man sich hier also nicht beschweren. Bereits zu Anfang feuern Titus Andronicus ein fettes Ohrwurm-Set ab, das mit No Future Triumphant und Stranded (On My Own) sowohl echte Punk-Klopper enthält als auch unterhaltsame Folk- und Pubrock-Nummern wie Lonely Boy und I Lost My Mind. Das betrifft hier die kompletten ersten fünfzehn Songs, andere Bands wären hier mit ihrem Album fertig. Hier ist das allerdings gerade Mal die Hälfte. Nach dem zugegebenermaßen etwas sinnlosen [Intermission] (bestehend aus fast einer Minute Stille) beginnt der eher aufreibende Teil der Platte. Das neunminütige (S)he Said/(S)he Said läutet eine zweite Hälfte ein, die wesentlich weniger ohrwurmig ist, dafür aber mit ihrer Konzeptualität glänzt. Zahlreiche Interludes verbinden hier die Songs miteinander, die dann auch gerne mal mit Chören, Streichern und andere abenteuerliche Klangbausteinen protzen. Nicht selten klingen Titus Andronicus dabei wie eine rotzigere Variante von the Arcade Fire oder den Bright Eyes. Auch an die britischen Pub-Rock-Legenden the Pogues erinnern sie zeitweise, von denen sie dann schließlich auch den Song A Pair of Brown Eyes covern. Und weil das noch nicht dick genug aufgetragen ist, hängen sie den Volkslied-Klassiker Auld Lang Syne gleich noch hinten dran. Gerade solche Manöver in der zweiten Hälfte zeigen, dass die Band hier auch sehr stark in den Bereich des klassischen Folk vorstößt, was ihnen zu meiner Überraschung ausgezeichnet steht. Und wenn der zweite Teil des Songs No Future als beatleske Ballade endlich den abschließenden Teil dieses Monster-Albums einläutet, muss man diesen Jungs wirklich eingestehen, dass sie hier viel geleistet haben. The Most Lamentable Tragedy ist vielleicht kein so verfädeltes, dramaturgisch ausgeklügeltes Gesamtwerk wie To Pimp A Butterfly oder the Death Defying Unicorn, aber gerade für Punkrock-Maßstäbe kann sich das hier sehen lassen. Auch wenn ich es am Ende lieber als ziemlich große Sammlung toller Einzeltracks sehe. Titus Andronicus haben sich damit auf jeden Fall wieder einmal als Ausnahme-Act profiliert und mich dabei auch zum ersten Mal wirklich begeistern können. Und über ein paar Ausrutscher kann man da schon mal hinwegsehen. Wer meckert schon wegen ein paar unvorteilhaften Sekunden bei 92 Minuten Hochleistungs-Songwriting? Hier hat eine Band hart gearbeitet und ein Ergebnis geliefert, das dieser Arbeit würdig ist. Mehr kann man ja von Rockmusik nicht wollen.
9/11

Beste Songs: Stranded (On My Own) / Lookalike / Mr. E. Mann / More Perfect Union / Stable Boy

Nicht mein Fall: [Intermission]

Weiterlesen:
Review zu Rum, Sodomy & the Lash (the Pogues):
zum Review

Review zu Funeral (the Arcade Fire):
zum Review

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