Dienstag, 18. August 2015

Single-Review: Ein Klavier! Ein Klavier!

DEAFHEAVEN
Brought to the Water

Anti Records
2015
















Deafheaven sind in den vergangenen 25 Monaten eine richtige Band geworden. Auf den Promo-Fotos des neuen Albums New Bermuda sowie im Teaser-Video sieht man von nun an fünf Mitglieder, nicht nur die beiden Ober-Chefs Kerry McCoy und George Clarke, die noch vor zwei Jahren die Identifikationsfiguren für den Sound von Deafheaven waren. Der Sound, der diesen Namen zu einem der wichtigsten in der internationalen Metal-Szene gemacht hat. Drummer Daniel Tracy, Gitarrist Stephen Clark und Bassist Shiv Mehra sind dafür aber genau so verantwortlich wie jenes Dreamteam, auch sie waren die Architekten hinter Sunbather, dem Album, das vor gerade mal zwei Jahren ein Genre aus der Reserve lockte. Das vielleicht das größte war, was diesem Genre seit Rage Against the Machine passiert ist. Für New Bermuda gehören auch sie jetzt zur Stammbesetzung. Hinter dieser harmonischen Zusammenführung steckt am Ende jedoch auch vor allem eine taktische Entscheidung. Diese fünf Musiker sind schuld daran, dass jeder im Jahr 2015 Deafheaven kennt und dass große Erwartungen ihr neues Album begleiten. Und getreu der alten Regel "never change a winning team" sind diese fünf Musiker auch diejenigen, die es für den Nachfolger von Sunbather richten sollen. Dessen erster Song ist vor kurzem veröffentlicht wurden und hört auf den Namen Brought to the Water. Ein knapp neunminütiger Track, der den Hörer über mehrere Stadien in den Klang der neuen Platte einweiht. Es gibt viel zu sagen über diese neun Minuten, aber zuerst das offensichtliche: Ist dieses Stück nur ein weiteres Dream House? Definitiv nein. Deafheaven haben sich sehr darum bemüht, hier den richtigen Abstand zum letzten Album zu finden, verspielt zu sein, einige Schritte weiter zu gehen. In seinen letzten Minuten hört man auf Brought to the Water ein einzelnes Klavier, ein bisher nur selten von der Band eingesetzter Touch, der hier ganz neue Facetten einbringt. Auch eine erneute Hinwendung zum traditionellen Black Metal ist hier hörbar, die komplette erste Hälfte des Songs klingt ziemlich norwegisch. Besonders mag ich hier Clarkes akzentuierten Gesang, der sich wie ein Widerhaken den atmosphärischen Gitarren entgegen setzt und so teuflisch und finster klingt, wie diese Art von Musik klang, bevor es Deafheaven gab. Nach etwas mehr als drei Minuten legt sich über diesen tobenden Noise-Tornado allerdings wie aus dem nichts ein Gitarrensolo, so klar und optimistisch verstrahlt, dass es schon wieder ein bisschen zu viel ist. Und es ist definitiv zu viel, aber es ist der erste Aha-Moment dieses Tracks. Dieser dicke, weiße Pinselstrich auf schwarzer Leinwand, die Deafheaven zu Deafheaven macht. Ein tolldreistes Verbrechen am nihilistischen Song-Konzept. Im anschließenden zweiten Teil wird Brought to the Water zur Postrock-Nummer umgekrempelt und die Lead-Gitarre zaubert eine tagträumerische Pop-Melodie über das ganze. Clarke schreit dabei zwar weiter wie ein besessener, doch eigentlich ist es da schon passiert: In den Minuten zwischen der Sludge-Breakdown und dem Outro mit Klavier ist es wieder da, das Sunbather-Gefühl. Dieses euphorisierende Gänsehaut-Schmetterlings-Sonnenuntergangs-Gefühl, das ich keinem erklären muss, der besagtes Album mit den Ohren eines Fans gehört hat. Ich hatte schon daran gezweifelt, dass Deafheaven das hier wieder hinkriegen, aber für wenige Minuten überkommt es einen dann doch noch. Es ist ein Detail, das vielleicht nicht mal beabsichtigt war, aber es beendet den Song wie ein Paukenschlag. Beziehungsweise fast, denn nach dem ziemlich lahmen Fade-Out gibt es ja noch das bereits besprochene Klavier. Und nachdem auch das vorbei ist, hinterlässt einen Brought to the Water mit gemischten Gefühlen. Der Song hat nicht das Niveau eines einzigen Sunbather-Songs und ist am Ende sogar ein bisschen enttäuschend. Gleichzeitig zeigt er Deafheaven aber auch auf einem neuen kreativen Level, das wesentlich mehr Experimente zulässt. Es ist durchaus möglich, dass wie hier den Opener von New Bermuda vor uns haben und auch wenn dem nicht so ist, könnte das heißen, dass die neue Platte einen Gang zurückschaltet. Gleichzeitig könnte diese Band auf einer ganz anderen Ebene interessant werden. Die ätzenden Vergleiche mit ihrem Vorgänger ist sie hiermit zumindest alles andere als los. Das hat man nun davon, wenn man das wichtigste Metal-Album des Jahrzehnts macht.

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