Freitag, 3. Juli 2020

Old Man


[ oldschool | melancholisch | folkrockig ]

Es war in den letzten Jahren zumeist eine gute Entscheidung, die ich nicht bereue, zum aktuellen Output des großen Songwriters Neil Young einen angemessenen Sicherheitsabstand einzuhalten. So sehr ich auch ein genereller Befürworter seines klassischen Materials und entfernter von seinen Platten mit Crosby, Stills und Nash sowie mit Buffalo Springfield bin, war es in jüngerer Zeit doch nicht immer zuträglich, sich zu intensiv mit seinen neueren Veröffentlichungen zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn man sich das positive Bild dieses Künstlers erhalten wollte. Wenn man mich fragt, ist aus einem der tollsten Folk-Songwriter der Siebziger spätestens seit der Jahrtausendwende ein ziemlich verbitterter, konservativer alter Zausel geworden, der nicht nur völlig den Kontakt zur modernen Musikvermarktung verloren hat (siehe sein trauriges Streamingdienst-Desaster mit PONO vor einigen Jahren), sondern auch musikalisch extrem nachgelassen hat. In seiner eisernen Überzeugung, dass gute Musik (zumindest wenn sie von ihm kommt) keine frischen Impulse mehr braucht und sich selbst genügt, hat er mindestens die letzte Dekade lang einen zusehends lahmarschig und einfältig gewordenen Stiefel abgerockt, der dieser Tage weniger nach künstlerischer Identität klingt als nach dem krampfhaften Erhalt einer verklärten Idee von Rock'n'Roll-Haltung, die es schlichtweg nicht mehr gibt. Klar ist er damit noch immer besser als ein Ted Nugent oder ein Morrissey, aber eben auch nicht im mindesten so interessant. Wobei ich auch nicht so sein will, denn genau diese vergangenheitsbezogene Sturköpfigkeit und forcierte Nostalgie, die ich an ihm so doof finde, hatte zuletzt wenigstens eine tolle Sache an sich: Seit ungefähr zehn Jahren hat Young nämlich einen wesentlichen Teil seiner Zeit auch damit aufgewendet, der Öffentlichkeit sukzessive sein gesamtes Archivmaterial zugänglich zu machen, inklusive eigener Webseite, liebevoll aufbereiteter Rereleases, Liveaufnahmen und regelmäßig erscheinenden, umfangreichen Demo-, B-Seiten- und Outtake-Zusammenstellungen. Stand 2020 dürfte der Backkatalog von Neil Young damit zu den am besten kuratierten und öffentlich dokumentierten Materialsammlungen seiner Generation gehören und ist in seiner gesamten Erscheinung schon ziemlich imposant. Wobei das beste daran mit Abstand die sogenannten "Special Releases" sind, bei denen zum größten Teil ganze Alben, von denen der Kanadier anscheinend einige in der Schublade hat, erstmals veröffentlicht werden. Bereits 2017 und 2018 gab es mit Hitchhiker und dem Paradox-Soundtrack jeweils eine solche LP und mit Homegrown folgt nun die dritte und bisher wichtigste dieser Veröffentlichungen. Ausgangsmaterial ist dabei ein komplettes Album, das Young zwischen 1974 und 1975 aufnahm und dessen gesamte Produktion eigentlich schon abgeschlossen war, als der Künstler selbst es im letzten Moment zurückzog und stattdessen das seinerseits zwei Jahre zuvor aufgenommene Tonight's the Night einschickte. Als Grund dafür gab er an, dass einige Stücke darauf zu persönlich wären und er sich gescheut habe, sie zu veröffentlichen. Und wenn man die LP jetzt hört, versteht man definitiv, warum: Young verarbeitet hier im wesentlichen die Trennung von seiner damaligen Freundin Carrie Snodgress, die anscheinend in ein paar doch recht tiefe persönliche Abgründe führte. Denn Homegrown ist nicht nur ein Trennungsalbum in diesem Sinne, sondern gleichermaßen eines über Selbstfindung und als solches schon objektiv sehr emotional. Und auch wenn sich mir persönlich hier nicht die intime Gedankenwelt des Songwriters offenbart, kann ich doch verstehen, dass Tracks wie diese als Dokumente einer schwierigen Umbruchsphase zu verstehen sind. Gleich im Opener Seperate Ways fällt der Kanadier diesbezüglich mit der Tür ins Haus und schreibt eine Schlussmach-Ballade, die sich nicht nur unglaublich authentisch und nahbar anfühlt, sondern auch als optimaler Moodsetter für diese LP funktioniert. Denn nachdenklich und meditativ bleiben danach die allermeisten Songs. Love is A Rose (der einzige Track, der bereits vorher woanders veröffentlicht wurde) ist ein Lamento über das Wesen der Liebe aus der Sicht eines frisch getrennten, Try handelt von der Fragilität des Vertrauens und Songs wie Kansas, Little Wing oder Star of Bethlehem funktionieren als fantasievolle Parabeln, die erst im Kontext dieser Platte richtig aufblühen. Zwar gibt es abgesehen davon auch ausreißerische Nummern wie den rumpelnden Blues-Jam We Don't Smoke It No More, das rockige Vacancy oder das träumerisch-experimentelle Florida, die thematisch abweichen, doch passen auch die irgendwie gut ins Geschehen. Und obwohl Homegrown damit seinen erfolgreichen Vorgängern wie Harvest oder After the Gold Rush klanglich sehr ähnlich ist, hat es doch eine Finesse, die diese oft nicht haben. Womit wir bei dem Punkt werden, der mich hier wirklich überrascht hat, nämlich wie großartig ich diese Platte im Endeffekt finde. Als jemand, der Youngs Stil der frühen Siebziger schon ziemlich gerne mag, ist das ja per se nicht verwunderlich, doch finde ich es erstaunlich, wie ausgerechnet die LP, die fast 50 Jahre unter Verschluss gehalten wurde, all die Elemente, die ich an dieser Phase so toll finde, so ziemlich am besten vereint. Ich muss zugeben, dass ich mit der Diskografie des Kanadiers abseits seiner Klassiker bisher wenig vertraut bin und daher um eine Aussage wie "seine beste Platte überhaupt" noch verlegen bin. Aber von all den Sachen, die ich von ihm gehört habe (Sprich alles Solomaterial von 1970 bis 72, die frühen Sachen von Buffalo Springfield und ein, zwei Alben mit Cosby, Stills & Nash), ist sie das tätsächlich. Kein Experiment misslingt hier, die Texte sind allesamt ergreifend und großartig geschrieben, die Produktion klingt nach wie vor fantastisch und die Balance zwischen dem rockigen und dem nachdenklich-folkigen Neil Young ist hier so einwandfrei gehalten, dass es nie zu viel von einem oder zu wenig von dem anderen gibt. Wenn man mich fragt, könnten so gut wie alle Stücke hier in einer Reihe mit einem Heart of Gold oder Old Man stehen, die die Rockgeschichte unsterblich gemacht hat. Und wer weiß denn, ob ein Love is A Rose oder Kansas nicht vielleicht einer dieser Evergreens geworden wäre, wäre Homegrown damals pünktlich erschienen. Der einzige Faktor, der in meinen Augen den messbaren Unterschied macht, ist Zeit. Daher bin ich mir meiner Sache auch sehr sicher, wenn ich behaupte, dass ich hier gerade mein erstes richtiges Lieblingsalbum von Neil Young entdeckt habe und extrem froh bin, dass es 45 Jahre nach seiner Aufnahme nun doch noch erschienen ist. Denn anders als bei seinen neueren Platten kann ich hier definitiv sagen, dass die Welt der klassischen Rockmusik etwas verpasst hätte, wäre das hier weiterhin in der Schublade vergammelt.


Hat was von
Damien Jurado
Rehearsals for Departure
 
Sturgill Simpson
A Sailor's Guide to Earth

Persönliche Höhepunkte
Seperate Ways | Mexico | Love is A Rose | Homegrown | Florida | Kansas | White Line | Vacancy | Little Wing | Star of Bethlehem

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen