Mittwoch, 8. Juli 2020

Malamente


[ futuristisch | avantgardistisch | verhackstückt ]

Schon seit jeher schlagen musikalisch gesehen zwei Herzen in der Brust von Alejandra Ghersi: zum einen das der erfolgreichen Produzent*in und Hintergrundfigur auf den großen Platten von Promis wie Björk und Kanye West, zu anderen als exzentrische Solokünstlerin Arca, als die sie bereits seit einer guten halben Dekade die Impulse für das setzt, was in der experimentellen elektronischen Musik gerade so angesagt ist. Und wo ich sie besonders für letztere Tätigkeit eigentlich immer recht gerne mochte und gerade ihre zweite LP Mutant von 2015 noch immer hoch halte, muss ich doch zugeben, dass ich mich zuletzt mehr und mehr von dieser Inkarnation ihres Outputs entfremdet habe. Größtenteils aus dem Grund, weil Arca irgendwie komisch geworden ist. Und theoretisch kann ich das auch verstehen, denn nachdem sie bereits mit ihren frühen Alben und Produktionsjobs sehr schnell einen extrem schrägen Sound zu ihrem persönlichen Stil gemacht hatte, der innerhalb einer gewissen Szene-Bubble auch großzügig kopiert wurde, war sie bereits sehr zeitig dazu motiviert, klanglich zu diversifizieren. Und für eine Künstlerin wie sie, die die Avantgarde in ihrer DNA trägt, geht der einzige Weg dahin nun mal nur darüber, noch seltsamer zu werden. Prinzipiell war das auch nicht das Problem, und Arcas selbstbetitelte LP von 2017 war eigentlich auch ziemlich okay, nur war ich irgendwie auch der Meinung, dass sie nicht mehr ganz so fokussiert bei der Sache war und insgesamt nachließ. Wo ihre größte Stärke vorher immer ihre Kohärenz war, klang sie hier zum ersten Mal etwas zerstreut und unzusammenhängend. Eine Tendenz, die sich auf ihrer neuesten Platte leider nochmal erheblich verschlimmert hat. Dabei liegt das vielleicht auch ein wenig in der Natur der Sache selbst, denn jene Art von sehr vielschichtigen, chaotischen Alben scheint in der sich bildenden Front von Künstler*innen wie Sophie, Holly Herndon, 100 Gecs, Black Dresses und eben Arca gerade zum trendigen Standard zu werden. Was ich als Freund übergreifender LP-Erfahrungen und konsistenten Flows natürlich ganz furchtbar finde. Und auf Kick I ist es für mich ganz klar das Hauptproblem, das mir extrem viel madig macht. Viele der 12 Tracks hier sind für sich eigentlich ganz vernünftig und klingen kompositorisch gar nicht verkehrt, nur gibt es eben keine einheitliche Richtung, in die sie sich stilistisch bewegen. Im Gegenteil. Durch die Entscheidung, dass so gut wie jeder davon einen völlig neuen Vibe anschneidet, können die meisten davon gar nicht so richtig ihre Wirkung entfalten und verharren als mittelmäßige Posen ohne kompositorische Anschlüsse. Befeuert wird diese Wirkung zusätzlich durch die Entscheidung, die Hälfte von Arcas erlauchtem Freundeskreis auf diese LP einzuladen, die stilistisch meist so schwergewichtig sind, dass sie sich keinem musikalischen Konzept unterordnen können. Das Ergebnis sind dann so Sachen wie eine auf spanisch gesungene Strophe von Björk in Afterwards, die nicht nur völlig verpeilt klingt, sondern auch wie von einem ihrer Alben transferiert. Oder die komplett sinnlose Krach-Orgie, die Sophie in La Chíqui fast im Alleingang veranstaltet. Einziger Lichtblick ist an dieser Stelle mal wieder Rosalía, die in KLK zwar auch sehr viel eigenen Charaker einbringt, diesen aber wirkungsvoll mit dem von Arca abstimmt und zeigt, dass es so schwer gar nicht ist. Wobei die besten Teile der Tracklist für mich trotzdem noch immer die bleiben, in denen gar nicht gesungen wird. Für Kick I als Statement ist das natürlich keine gute Bilanz, obwohl es gerade da theoretisch viel zu holen gibt. Mit dem Opener Nonbinary ist mein klanglich am wenigsten liebster Song des ganzen Albums ausgerechnet der, mit der Arca ihre queere Identität feiert und damit potenziell ihre größte Hymne schreibt. Genauso hätte ich gerne jene Passagen mehr gefeiert, in denen sie sich mit dem politischen Chaos in ihrer Heimat Venezuela auseinandersetzt, doch wirken auch die (bis auf KLK) meistens eher forciert und nicht besonders tiefgreifend. Und das ist letztendlich mein größtes Problem mit Kick I: Dass es eine Platte ist, die so gerne mögen würde. Als ein so mittelmäßig wertender Artikel wirkt dieser unter so vielen in der letzten Woche, die Arca für diese LP hofierten, wie ein etwas bösartiger, und ich möchte einfach sehr deutlich klarstellen, dass dem nicht so ist. Ja, ich finde dieses Album enttäuschend, aber es soll bitte niemand denken, dass ich die Künstlerin dahinter oder ihre Intentionen deswegen doof finden würde. Und ich hoffe, dass ich nicht extra betonen muss, dass jedwede Gender-Indentitäten diese Bewertung in keinster Weise beeinflusst haben. Theoretisch ist Kick I eine tolle Sache, praktisch gesehen finde ich sie etwas schlampig umgesetzt. Und ich hoffe, dass Arca aus dieser Phase so schnell wie möglich herauskommt und wieder Songs macht, die nicht nur innovativ und edgy sind, sondern auch gut zu hören.


Hat was von
Sophie
Oil of Every Pearl's Un-Insides

Björk
Vulnicura

Persönliche Höhepunkte
Time | Calor | KLK | Machote | No Queldo Nada

Nicht mein Fall
Nonbinary | Afterwards

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen