Samstag, 11. Juli 2020

Pain is Beauty



[ kunstig | orchestral | gewaltig ]

Ich gehe mal direkt den Schritt ins Unbekannte und behaupte ganz frech, dass bis vor ein paar Monaten keine Sau wusste, wer zum Teufel eigentlich Klô Pelgag ist. Ich selbst hatte bis Mitte Mai keinen Plan und verdankte es nur meinem sehr aufmerksam gestalteten Release-Filter und einem der definitiv besten LP-Artworks der bisherigen Saison, dass ich irgendwann neugierig wurde und selbst dafür sorgte, dass sich das änderte. Und es war schon ein ziemlich großer Zufallstreffer, denn gerade dieses willkürliche Hören eines Albums aufgrund von sehr fadenscheinigen Indizien (wie zum Beispiel einem hübschen Cover), mache ich in letzter Zeit nicht mehr oft, unter anderem aufgrund schlechter Erfahrungen aus der Vergangenheit. Doch im Falle Notre-Dame-des-Sept-Douleurs kann ich voller Freude verkünden, dass es sich um eine der wenigen Ausnahmen handelt. Denn dass das hier zu meinen diesjährigen Favoriten gehören würde, war so ziemlich ab der ersten Sekunde klar. Und es ist auch irgendwie schön, dass ich auf diese Weise von Klô Pelgag erfahren habe, denn wäre das auf dem herkömmlichen Weg (wie etwa durch ein Musikvideo oder einen Livemitschnitt) passiert, wäre es wohl schwer gewesen, sich auf die Musik zu konzentrieren, die von der künstlerischen Persönlichkeit der Chloé Pelletier-Gagnon (so ihr bürgerlicher Name) nur einen Teil einnimmt. Ähnlich wie eine Björk, Billie Eilish oder Grimes ist die Kanadierin eine Musikerin, die irgendwie als Gesamtkunstwerk zu verstehen ist und nicht nur ein Song oder ein Album, sondern immer auch ein Video, ein Kostüm und eine Frisur ist. Was in meinen Augen aber eher ablenkt, denn obwohl Klô Pelgag eine unfassbar talentierte Songwriterin ist, sind ihre Stücke selbst häufig das am wenigsten exzentrische an ihrem Auftreten. Und es braucht in meinen Augen ein vom Gesamtbild losgelöstes Hörerlebnis, um das Genie dieses Longplayers wirklich zu erkennen. Denn erst in den kompositorischen Details dieser LP zeigt dieses sich auch wirklich. Auf den ersten Blick ist Notre-Dame-des-Sept-Douleurs dabei ein etwas flippiges Kammerpop- oder fast Chanson-Album in der Tradition von Leuten wie Dear Reader, Joanna Newsom, Anja Plaschg, Kate Bush oder auch Mine, das sich vordergründig dadurch unterscheidet, dass hier auf französisch gesungen wird. Und praktisch gesehen ist das auch nicht falsch, nur dass Klô Pelgag zudem noch eine Musik spielt, die mit wesentlich größerer Tiefenschärfe daher kommt. An so vielen Stellen hier lohnt es sich, auf kleine instrumentale Nuancen zu achten, die in einem unglaublich großräumigen Gesamtklang ständig stattfinden und bei dem man merkt, wie viel Talent in diesem Stück Musik steckt. So viele Tracks auf dieser LP überraschen mit ungeahnten ästhetischen Wendungen, werden plötzlich sehr düster oder wechseln von Synthpop in orchestrale Neoklassik-Gewitter. Die Künstlerin selbst ist dabei nicht nur als Instrumentalistin und Sängerin durchweg atemberaubend, von ihr stammen auch große Teile der sehr imposanten orchestralen Arrangements sowie wesentliche Parts der Postproduktion (der andere im Boot ist unser guter Kumpel Owen Pallett). Und spätestens an dieser Stelle bin ich mir sicher, hier über einen echten Geheimtipp des zeitgenössischen Barockpop (ich mag dieses Wort eigenlich nicht, aber hier passt es wirklich ganz gut) gestolpert zu sein, und das nur durch ein schönes Cover (das übrigens von Florence Obrecht stammt, gern geschehen!). Man könnte es als glückliche Fügung bezeichnen, dass ich Klô Pelgag entdeckt habe, andererseits sind Platten wie diese auch der Grund, warum ich meinen musikalischen Radar ganz bewusst immer weiter ziehe. Wobei diese LP ganz klar eine der seltenen Perlen ist, die mich ganz besonders beeindruckt haben. Und bei der ich jedes noch so kleine bisschen Reichweite nutzen möchte, das ich eventuell habe, um sie an so viele wie möglich weiterzugeben. Denn obwohl diese Künstlerin gerade ein bisschen verdienten Aufwind bekommt, kennen sie definitiv noch immer viel zu wenige.


Hat was von
Soap & Skin
From Gas to Solid / You Are My Friend

Kate Bush
the Kick Inside

Persönliche Höhepunkte
Rémora | Umami | J'Aurai des Cheveux Longs | À L'Ombre des Cyprès | La Fonte | Soleil | Für Elise | Notre-Dame-des-Sept-Douleurs II

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen