Sonntag, 12. Juli 2020

Meine Freunde, die Roboter


[ retrofuturistich | anthropologisch | nerdig ]

Als mittlerweile doch schon ziemlich gut gereifter und ausführlich Szene-versierter Instrumentalrock-Fan ist es für mich ein reiner Erfahrungswert, festzustellen, dass Long Distance Calling schon immer eine ziemlich langweilige Band waren. Selbst in meinen grünohrigen Anfangsjahren in der Bubble, als ich meine Vorlieben innerhalb des Genres erst so richtig entdeckte und eigentlich noch gar nichts über seine wirklich tollen Ecken und Nischen wusste, war mir das sehr schnell klar. Denn der Sound, den die Münsteraner seit jeher für sich kultivieren, ist selbst für den ziemlich einheitlichen Mainstream der Postrock-Community ganz besonders steif und angepasst und zeigt seit Jahr und Tag nicht einen Anflug von Kreativität. Schon 2011, als ich mit ihrem selbstbetitelten dritten Album auf sie stieß, war das ein großes Problem, und auch wenn ich es anfangs noch ein bisschen hoffte, konnte absolut keine stilistische Entscheidung - nicht mal die vorrübergehende Beschäftigung eines Sängers - daran etwas ändern. Folglich hätte ich nie im Leben gedacht, dass ich mich gut zehn Jahre später doch noch für eine ihrer Platten interessieren würde und dass ich How Do We Want to Live? überhaupt gehört habe, ist letztlich nur einer morbiden Neugier zu verdanken, die im wesentlichen mit diesem äußerst schrägen Scientology-Verschnitt von einem Cover zu tun hat. Und wie man anhand dessen schon ahnen kann, sind Long Distance Calling für diese LP ebenfalls den Weg des Sci-Fi-Instrumentalrock gegangen, den in der Vergangenheit schon so manche Formation ihres Schlags recht erfolgreich gewählt hat. Was an sich ja aber noch lange kein gutes Album macht. Im Gegenteil: auf dem Papier wirkt eine stilistische Marschrichtung wie diese eher wie ein sehr verzweifelter Versuch, sich an die coolen letzten Platten von Bands wie Mogwai, Moon Relay, 65daysofstatic oder Maserati zu hängen. Und so wie ich die Münsteraner bisher kannte, wäre auch genau das sehr naheliegend gewesen. Doch stattdessen ist How Do We Want to Live? wider Erwarten das Projekt geworden, auf dem Long Distance Calling endlich ein bisschen ihren Arsch hochkriegen. Man sollte es dabei nicht übertreiben, ein klangliches Wunder ist das hier nicht gleich, aber ich bin doch erstaunt, wo diese Jungs auf einmal die ganze Kreativität herhaben, ein so ganzheitlich spannendes Album zu präsentieren. Wobei die Pluspunkte schon bei der Idee selbst anfangen. Im Gegensatz zu vielen Postrock-Projekten mit retrofuturistischem Einschlag ist das hier nämlich nicht nur eine LP, auf der jemand ein bisschen mit einem Moog rumgebastelt hat, sondern hat die Sci-Fi-Komponente tatsächlich mehr als ein bisschen tiefgründiger ausgebreitet. Im Wesentlichen geht es dabei um die kognitive Fähigkeit des menschlichen Lernens, seine anthropologischen Zusammenhänge und wie diese von maschineller Intelligenz zu unterscheiden ist. Ein Thema also, über das andere Leute Doktorarbeiten schreiben und dass hier letztlich auch durch diverse Fußnoten - in Form von Sprachsamples - inhaltlich erläutert wird. Schon alleine das ist eine Art von Ambition, die diese Band vorher nie hatte und die scheinbar aus dem nirgendwo daherkommt. Nur dass sie es dabei nicht belassen und in ihrer Musik gleich weitermachen mit dem kreativen Bombardement. Vor allem mit ausführlichen Piano- und Streicherparts schafft How Do We Want to Live? dabei größere Überraschungen, aber auch Dinge wie die sehr von David Gilmour inspirierten Gitarrenparts oder elektronische Elemente (die für eine LP mit dieser Thematik gar nicht sooo vordergründig sind) erfüllen ihren Zweck. Klar sind dabei nicht alle Momente gleich geil und gerade die Songs, in denen gesungen wird finde ich immer noch grauenvoll, aber wenigstens ist es nicht mehr so unfassbar öde wie so ziemlich alles davor. How Do We Want to Live? ist ein Album, das ich im Moment eher in die Beweisführung für die Spannungskraft von Postrock aufnehmen würde als in die die dagegen und ob man das alles nun mag oder nicht, wenigstens gibt es hier was anderes als den üblichen Crescendo-Mist ihrer letzten Platten. Und gerade denjenigen, die das ganze Science Fiction-Thema ein bisschen interessiert, würde ich das hier echt ans Herz legen, denn rein inhaltlich gibt es tatsächlich wenige Platten, die ein Konzept so pedantisch und umfassend abarbeiten wie dieses hier. Was auch ein bisschen paradox ist, denn Postrock aufgrund seiner Lyrics zu hören ist nicht unbedingt die Regel. Aber wenn es hilft, dann soll es ruhig so sein. Und gerade dieser Band hilft es immens.
 

Hat was von
Maserati
Enter the Mirror

King Gizzard & the Lizard Wizard
Murder of the Universe

Persönliche Höhepunkte
Curiosity Pt. 2 | Voices | Fail / Oppurtunity | Immunity | Sharing Thoughts | True / Negative | Ashes

Nicht mein Fall
Beyond Your Limits

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