Freitag, 15. September 2017

Es ist Zeit

Eine Sache, die ich an Mogwais Musik seit ihrer Gründung stets bewundert habe und die mich über viele Jahre hat Fan bleiben lassen, ist die, dass die Band anscheinend immer genau weiß, wann etwas spannendes nicht mehr spannend ist. 2003 war das die klassische (Post)-rockband-Aufstellung, es folgte mit Happy Songs for Happy People ein Album mit Synthesizern. 2008 war auch das nicht mehr genug, also stürzten die Schotten mit the Hawk is Howling kurzfristig große Teile ihres Kompositionsschemas um. Und weil selbst das spätestens seit Rave Tapes von 2014 nicht mehr so richtig funzte und die Band im letzten Jahr mit dem Atomic-Soundtrack endgültig den Weg einer Electronica-Gruppe einschlug, mussten langsam mal wieder neue Impulse her. Warum also nicht mal das offensichtliche versuchen? Bereits seit Happy Songs... experimentieren Mogwai mit dem Thema Gesang, bisher meistens eher schüchtern. Auf den Nuller-Alben der Band gab es zumeist lediglich einen Song mit Vocals pro LP, und meistens waren diese entweder sehr weit nach hinten gemixt und/oder mit so vielen Effekten zugekleistert, dass von Inhalt kaum noch etwas übrig blieb. Mehr als ein versuchsweises Stilmittel war das ganze also nicht. Bis jetzt. Denn obwohl Every Country's Sun nach wie vor ein instrumental dominiertes Album ist, gibt es nicht nur mehr Stücke mit Gesang (nämlich ganze 2!), vor allem ist dieser hier auch als solcher zu erkennen. Schon vor einem Monat war ich begeistert von der Eingängigkeit, die Mogwai bei Party in the Dark plötzlich mitbrachten und auch in Eternal Panther (leider nicht auf der fertigen LP) und dem eher balladesken 1000 Foot Face funktioniert das Rezept Vocals ausgesprochen gut. Und man könnte den Schotten dafür tatsächlich eine neue Innovationsstufe ihres Songwritings bescheinigen, wäre der ganze Rest der Platte nicht so ernüchternd regressiv. Wenn man von all den coolen, neuen Moves hier die Dinge abzieht, die Mogwai hier zum dritten Mal aufwärmen, bleibt am Ende fast nur Party in the Dark als tatsächlich komplett neuer musikalischer Impuls übrig. Der Rest der Platte ist zwar auch nicht schlecht, aber zeigt die Band lediglich im Rückspiegel. Der Großteil der Tracks hier könnte locker auch auf einem der letzten beiden Alben sein, im Fall von Coolverine oder 1000 Foot Face sogar noch aus den frühen Nullerjahren. Was die Band hier verarbeitet, hört sich an wie sehr viele Überbleibsel von Ideen, die es irgendwann mal nicht mehr auf alte Platten geschafft haben und nun einfach hier durch den Wolf gedreht werden. Darunter sind zwar zu großen Teilen richtig coole wie der Acid Rock-Verschnitt Battered At A Scramble, das überraschend treibende Old Poisons oder der Crescendo-Postrock-Standard Don't Believe the Fife, doch kopieren sich Mogwai dabei lediglich selbst. Und ich war eigentlich immer der Meinung, gerade sie hätten das nicht nötig. Um der Kurzsichtigkeit der Songs wegen würde ich Every Country's Sun eigentlich gerne hassen, nur sind die Ergebnisse am Ende eben doch zu gut. An manchen Stellen gefällt mir die LP sogar bei weitem besser als ihr Vorgänger. Man könnte daraus argumentieren, dass in diesem Fall ein "Back to the Roots-Album" tatsächlich mal funktioniert hat, aber so will ich das hier nicht sehen. Für mich ist diese Platte höchsten ein schmerzhafter Ausrutscher mit guter B-Note. Das alles ändert nichts daran, dass Mogwai eine wahnsinnig gute Band sind und noch immer bessere Sachen machen als 90% der gesamten Postrock-Fraktion. Es täuscht aber auch nicht darüber hinweg, dass sie zum ersten Mal in ihrer Karriere an einem Punkt sind, an dem sie selbst nicht mehr so richtig weiter wissen. Die Spannung zumindest ist gerade ein bisschen raus.





Beste Songs: Party in the Dark / Aka 47 / 1000 Foot Face / Don't Believe the Fife / Battered at A Scramble / Old Poisons / Every Country's Sun

Nicht mein Fall: Coolverine / Brain Sweeties / Crossing the Road Material

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