Samstag, 16. September 2017

Prioritäten klären

Dass ich nie ein besonders großer Fan von LCD Soundsystem war, hat wahrscheinlich größtenteils biografische Gründe. Als ich Ende der Nullerjahre so langsam anfing, mich ernsthaft für Musik zu interessieren, lösten sich die New Yorker gerade auf und zu jener Zeit klang sowieso jede zweite Band wie eine billige Kopie von ihnen. Allerdings kann ich mich auch nach reiflicher Beschäftigung in den letzten Jahren noch immer nicht wirklich mit ihrer Diskografie anfreunden und bis auf wenige Songs (fast alle von ihrem letzten Album This is Happening) interessieren mich James Murphy und seine distinguierte Diskopunk-Partytruppe doch eher wenig. Dementsprechend kalt ließ mich Anfang diesen Jahres auch die Nachricht über ihr Comeback und alles, was in Zusammenhang damit in den letzten Monaten aufgeschäumt wurde. Ich hatte zu all diesen Dingen keinerlei emotionalen Bezug und war um ehrlich zu sein ein bisschen genervt davon. Die Besprechung zu American Dream wäre ich demzufolge sicherlich mit einer ziemlichen Null-Bock-Attitüde angegangen, doch das Schicksal gab mir im Frühjahr letztendlich doch noch einen Angelpunkt für dieses Album, nämlich Call the Police. Die erste Single der LP vom April gehört in diesem Moment zu meinen absoluten Lieblingssongs des bisherigen Jahres und schaffte es bei ihrer Veröffentlichung sofort, mir nach acht Jahren Skepsis das Konzept LCD Soundsystem näher zu bringen. Somit entstand bei mir die Hoffnung, dass American Dream vielleicht doch ganz geil werden würde. Und siehe an, Murphy und Kollegen haben diesmal echt nicht zu viel versprochen. Der vierte Longplayer der New Yorker macht wenig anders als die drei davor, aber vieles besser. Die nostalgisch aufgeladenen, ausgedehnten Disco-Jams, wie man sie auch schon von vor der Trennung kennt, hört man hier fast unverändert, was Fans der Band auf jeden Fall glücklich machen wird. Gleichzeitig sind diese aber auch üppiger instrumentiert, knalliger gemixt und melodisch fetter, was irgendwie neu ist. Und mich freudig stimmt, weil diese Aspekte mir gerade auf den frühen LCD-Platten immer zu kurz kamen. Die faden, trockenen Indie-Brocken der Nullerjahre sind hier zu vollwertigen, großen Popsongs gereift, die diese Band schon immer verdient hat. Alles daran passt so viel besser zum künstlerischen Anspruch dieser MusikerInnen und nicht zuletzt zum gesanglichen Charisma von Murphy. Songs wie Dance Yrself Clean oder Drunk Girls vom Vorgänger fingen damit zwar auch schon an, aber hier erleben wie diese neue Reichhaltigkeit auf Albumlänge. Und es ist ziemlich fantastisch. Zumindest in meinen Augen. Besonders exemplarisch für diese Entwicklung finde ich den Track Change Yr Mind, der zunächst zwar noch sehr nach der Frühphase der Band klingt, dann aber ganz plötzlich in einen gigantischen Refrain purzelt und von da ab eigentlich ein Selbstläufer ist. Im Prinzip funktioniert diese Bezeichung für das ganze Album: James Murphy braucht 2017 keine lyrischen Spitzen und cleveren Anspielungen mehr (so gut waren die eh nie!), denn die Musik trägt sich komplett von selbst. Im besten Fall auch locker über zehn Minuten, wie in How Do You Sleep oder Black Screen. Schön, dass LCD Soundsystem diese Stärke ihres Songwritings endlich mal so richtig zelebrieren. Denn die Folge daraus ist in meinen Augen nicht weniger als ihr bisher bestes Album, auch wenn viele Fans von früher das vielleicht anders sehen. Doch mir ist auch klar, dass für mich die Selling Points diese Band andere sind als für viele von denen. Mir ist ein strahlender Glitzerpop-Song wie Call the Police eben wesentlich lieber als ein verschnicktes, aber staubtrockenes Daft Punk Are Playing at My House. Und wenn das bedeutet, dass LCD Soundsystem mit diesem Album eine Veränderung ihres Publikums hinnehmen müssen, dann wird ihnen das sicherlich auch recht sein. Denn scheinbar haben sie American Dream ja sowieso nur für die Kohle gemacht.





Persönliche Highlights: Oh Baby / Other Voices / I Used To / Change Yr Mind / Call the Police / American Dream / Emotional Haircut

Nicht mein Fall: Tonite

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen