Sonntag, 24. September 2017

the Revolution is Never Coming

Die Zeiten, in denen Godspeed You! Black Emperor eine Sensationsband waren, sind mittlerweile eindeutig vorbei. Nachdem die Kanadier 2012 mit ihrem Comeback-Album Allelujah! Don't Bend, Ascend! zumindest der Postrock-Welt noch einmal ordentlich den Kopf verdrehten und es mal kurz wieder so war wie damals bei Lift Your Skinny Fists..., ist seit einer Weile ziemlich Ruhe eingekehrt bei den Orchestral-Punks von einst. Brav wie eine Bande von Major-Sklaven macht das antiautoritäre Kollektiv inzwischen alle zwei Jahre eine neue Platte, die ein bisschen am kompositorischen Mikrokosmos des maximalistischen Instrumentalrock herumdoktort und das auch ganz erfolgreich tut, aber Kontinente werden hier schon lange nicht mehr verschoben. Zuerst fand ich diese Tendenz ehrlich gesagt ein klein wenig ärgerlich und trauerte den großen Epen nach, aber je länger diese Geschichte jetzt schon geht, desto mehr habe ich mich mit ihr angefreundet. Das letzte Album Asunder, Sweet and Other Distress von 2015 triggerte mich, weil es mit läppischen vierzig Minuten Spielzeit nicht meinen überzogenen Ansprüchen gerecht wurde, doch mittlerweile muss ich zugeben, dass ich nicht nur meinen Frieden damit gefunden habe, sondern die LP sogar richtig gerne mag. Tatsächlich empfinde ich es im Nachhinein als eine gute Entscheidung, mal kleinere Brötchen zu backen und nicht immer gleich die neue Bibel der Rockmusik machen zu wollen. Und diese Einsicht hilft mir zweieinhalb Jahre später auch, mit Luciferian Towers klarzukommen. Denn wo Asunder sich 2015 wie die Diätportion Godspeed anfühlte, ist die neue Platte ganz oberflächlich gesehen nicht mehr als eine Vorspeise. Zwar geht sie mit 43 Minuten ganze 180 Sekunden länger als ihr Vorgänger, doch gibt es hier weder einen Track über zehn Minuten (Skandal!) noch ein wirklich erkennbares Konzept, dass dieses entschuldigt. Mein Vergangenheits-Ich von vor zwei Jahren wäre im Dreieck gesprungen. Doch die klügere Person, die ich jetzt bin, nimmt es gelassen hin: Weniger und kürzere Songs bedeutet ja nicht gleich, dass diese schlechter sind, oder? Naja, zumindest nicht direkt. Allerdings muss man schon sagen, dass Godspeed hier eines ihrer bisher langweiligsten Alben gemacht haben. Und das liegt unter anderem schon ein bisschen daran, dass sie größere Unternehmungen hier geschickt umgehen. So sind beispielsweise Bosses Hang und Anthem for No State Stücke, die zusammen je auf gute 15 Minuten kommen würden (die Dreiersplittung bei beiden existiert ja quasi nur auf dem Papier), die aber diesen Umfang nicht voll ausnutzen wollen. Beide Tracks mäandern und gniedeln halbe Ewigkeiten vor sich hier und durchlaufen dabei viele wunderschöne Einzelpassagen, doch finden dabei nie wirklich einen roten Faden. Wo Songs wie Storm oder Mladic von früheren Platten zumindest immer eine eindeutige Richtung hatten, in die sie sich mit aller gegebenen Geduld bewegten, verharren Godspeed hier teilweise ein wenig auf der Stelle und wissen nicht so richtig weiter. Anthem for No State schafft es dabei noch irgendwie, ein würdevolles Finale für die LP hinzuschustern und spielerisch zu beeindrucken, aber Bosses Hang hinterlässt im Mittelteil des Albums irgendwie ein größeres Fragezeichen. Man weiß tatsächlich nicht, ob dieses musikalische Ödland jetzt weise Absicht war, um mit den Hörgewohnheiten der Fans zu brechen oder einfach nur Schludrigkeit. In beiden Fällen ist das Ergebnis nicht das gewünschte. Wie gut, dass die beiden Ouvertüre-Tracks Undoing A Luciferian Towers und Fam/Famine zeigen, dass es auch besser geht und Luciferian Towers am Ende doch noch zu einem soliden Gesamteindruck verhelfen. Dieser wird zwar auch ein wenig davon getrübt, dass Godspeed hier rein klanglich-kompositorisch ihr letztes Album nochmal aufnehmen, aber wenigstens machen die ganzen Streicher- und Blechbläser-Passagen auch beim fünfzehnten Mal noch Spaß. Am Ende des Tages ist das hier eine LP, die durchaus funktioniert und die Kanadier vor ihrem musikalischen Erbe nicht bloßstellt, aber mit der die Band weder stilistisch wachsen wird noch ihre Fans herausfordert. Vielleicht haben Godspeed ja wirklich Gefallen an der Gemütlichkeit der Routine gefunden und überlassen das Feld der Randale jetzt langsam den jungen Wilden. Gemessen daran, dass sie gefühlt mal die radikalste Rockgruppe des Planeten waren, wäre das allerdings schon ein bisschen wie bei Joschka Fischer. Und was noch viel wichtiger ist: Wer sollen denn bitte diese jungen Wilden sein, von denen ich da spreche?





Persönliche Highlights: Undoing A Luciferian Towers / Fam/Famine / Anthem for No State, Pt. I / Anthem for No State Pt. II / Anthem for No State Pt. III

Nicht mein Fall: Bosses Hang, Pt. I 

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