Sonntag, 17. September 2017

Kleiner blauer Schmetterling


Es war vor etwas mehr als 2 Jahren, dass die beiden fanzösischen Brüder und Spieleentwickler Raoul Barbet und Michel Koch dem Gaming-Mainstream mit einem kleinen Multiple-Choice-Adventure namens Life is Strange einen deftigen Klapser versetzten. Der Titel, der sich um eine junge Frau dreht, die mit Superkräften ausgestattet eine Kleinstadt vor einer Naturkatastrophe bewahren muss und gleichzeitig versucht, den Kontakt zu ihrer ehemaligen besten Freundin wieder zu knüpfen, war 2015 ein Geheimtipp für Zocker*innen mit Niveau. Dabei war es weniger die Spannung am spielen selbst, die diesen Effekt verursachte, sondern  vor allem die Handlung und die Tatsache, dass Life is Strange es schaffte, den Spielenden eine sehr glaubwürdige Atmosphäre zu vermitteln, die eher an eine Netflix-Serie erinnerte als an ein Adventure-Game. Ich selbst habe die ganze Geschichte damals lediglich durch Let's Plays auf Youtube verfolgt und kam trotzdem in den Genuss des fantasievollen Soges der Story. Und dieser kam nicht zuletzt auch dadurch zustande, dass die Entwickler das Ganze mit einem handverlesenen Soundtrack ausschmückten, der für mich nicht weniger zum Fanliebling wurde als jede*r einzelne der Hauptcharaktere. Zwar wurden hier lediglich alte und darüber hinaus auch recht bekannte Songs von Künstler*innen wie den Bright Eyes, Mogwai, Sparklehorse oder Alt-J recyclet, doch passten diese wahnsinnig gut in die organische und traumtänzerische Stimmung des Spiels. Einige Nummern wie Alt-Js Something Good wurden mir erst durch Life is Strange wirklich zugänglich. Und weil es anscheinend nicht nur mir so ging, das Game im Laufe des Jahres mit Preisen überschüttet wurde und sich bis heute ein hartnäckiges Fandom darum hält, haben die beiden Entwickler vor einigen Wochen ein Prequel-Spinoff davon veröffentlicht. Dieses hört auf den Namen Before the Storm und dreht sich um die Vorgeschichte einer der Hauptpersonen des ersten Teils. Müßig zu erwähnen, dass die Erwartungen an den Titel in der Fangemeinde immens hoch sind. Und weil dies beim ersten Teil schon so wichtig war, übertragen sich diese natürlich auch auf den dazugehörigen Soundtrack. Was die Entscheidung, die dafür hier getroffen wurde, einigermaßen mutig macht. Es wäre ein einfaches gewesen, auch für Teil 2 wieder ein paar alte Lieblingslieder von renommierten Indiebands herauszukramen, die schon irgendwie für den richtigen Vibe gesorgt hätten. Stattdessen verpflichten die Entwickler mit Daughter hier eine einzige Band, die sich um den gesamten Soundtrack kümmern soll. In Anbetracht des gigantischen Hypes eine nicht ungefährliche Sache. Doch andererseits, wieso nicht? Durch ein Auftragswerk wie dieses kann die Komposition gezielter auf das Spiel abgestimmt werden, die Atmosphäre wird zusammenhängender und außerdem sind Daughter für diesen Job tatsächlich keine schlechte Wahl. Der smoothe, gediegene Indiepop der Briten passt sehr gut zur Ästhetik des Life is Strange-Kosmos, besitzt eine gewisse Organik und kann sich sowohl zurückhalten und im Hintergrund plätschern als auch nach vorne gehen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf ihrem Debüt If You Leave von 2013 schätzte ich diese Qualitäten sehr. Allerdings dürfen Fans der Band in diesem Fall doch mit etwas anderen Vorgaben rechnen. Music From Before the Storm ist ein Score und so klingt er eben auch. Statt nach the XX und Florence & the Machine klingen die Vier hier eher nach verhaltenen Bands wie Caspian oder Múm. Viele Tracks hier sind instrumental oder nur sehr spärlich besungen, große kompositorische Kontraste gibt es kaum und zum so hören ist diese Platte vielleicht ein kleines bisschen ereignislos. Gerade deswegen sollte sie im Spiel aber umso besser funktionieren. Daughter untermalen sehr farbenfroh, nutzen viele verschiedene Instrumente und vermitteln vor allem Stimmungen. Für gewöhnlichen Indiepop ist diese Musik sehr impressionistisch und grenzt in Stücken wie Dreams of William oder Glass fast an Postrock-Momente. Damit arbeitet die Band vielleicht nicht auf Höchstleistung, aber sie klingt dennoch ziemlich großartig. Zumal alles hier erstklassig produziert ist und es hier trotz allem so etwas wie einen Albumkontext gibt, der auch noch prima funktioniert. Und für diejenigen, die doch noch einen "richtigen" Daughter-Song wollen, gibt es mit A Hole in the Earth am Ende sogar noch einen kleinen Megahit. Somit dürften sowohl Fans der Band als auch die des Spiels irgendwie zufrieden sein. Zwar fragt man sich schon, ob eine Vorgehensweise wie beim ersten Teil nicht doch besser gewesen wäre, doch als Alternative ist das hier an sich auch sehr gut. Und solange ich am Ende jeder Episode wieder kurz vorm Nervenzusammenbruch bin, kann ich das durchaus verkraften.





Persönliche Highlights: Glass / the Right Way Around / Witches / All I Wanted / I Can't Live Here Anymore / Dreams of William / Improve / Voices / A Hole in the Earth

Nicht mein Fall: Burn It Down

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