Mittwoch, 20. September 2017

Aufgewärmt und eingewechselt

Man hatte sich in den letzten zehn Jahren an Motorpsycho als eine der routiniertesten Bands des Universums gewöhnt. Seit 2006 stand die Besetzung Snah-Saether-Kapstad, einmal im Jahr erschien eine neue LP und es gab eine ausgedehnte Tour. Daran hatten sich die Fans gewöhnt und wenn man sich bewusst machte, wie reibungslos das funktionierte, glaubte keiner daran, dass es sich irgendwann nochmal ändern würde, am wenigsten wahrscheinlich die Musiker selbst. Und dennoch passierte es letztlich, genauergesagt im letzten Herbst. Nachdem Mitte der Nullerjahre mit Håkon Gebhardt schonmal ein Drummer von Motorpsycho das Handtuch warf, war es mit Kenneth Kapstad diesmal wieder der Mann hinter den Kesseln, der sich absetzte. Das mag auf den ersten Blick nach keinem großen Verlust klingen (zumindest nicht so dramatisch wie ein Weggang der verbleibenden beiden Mitglieder, die seit jeher den Löwenanteil des Songwritings stemmen), doch schmerzhaft war es schon. Kapstads energischer, rockiger Stil war auf den neueren Alben der Norweger prägnant und in dieser Konstellation von musikalischen Genies ist es nie einfach, jemanden einfach so zu ersetzen. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist. Mit Tomas Järmyr sitzt seit einem knappen Jahr nun nicht nur ein weiterer Youngstar der Trondheimer Jazz-Szene am Schlagzeug, sondern auch ein langjähriger Weggefährte der Band. Es könnte also deutlich schlimmer sein. Und die Tatsache, dass es schon jetzt einen neuen Longplayer der neuen Formation gibt, spricht für den Neuzugang. Nicht nur das, mit the Tower haben sich Motorpsycho ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Die neue Platte ist mit 84 Minuten Spieldauer die längste seit dem legendären Über-Epos the Death Defying Unicorn von 2012 und darüber hinaus ein stilistischer Schmelztiegel sondersgleichen. In einem Monster-Track nach dem anderen spielt sich das Trio hier zwischen Doom, Progrock, Jazz, Stoner und Glamrock die Bälle zu und klingt dabei so groovig wie lange nicht. Und obwohl das zunächst nach ziemlich großen Ansprüchen für eine Band klingt, die sich erstmal neu finden muss, wird auf den zweiten Blick sehr schnell der pädagogische Zweck dieses Projektes klar. Zwar ist the Tower kompositorisch durchaus anspruchsvoll und alles andere als eine leichte Übung, doch ist es dabei weder so konzeptuell verwinkelt wie Death Defiying Unicorn oder Here Be Monsters, noch so experimentell-farbenfroh wie Behind the Sun. Diese Platte hört sich mit ihren endlosen Jams und dick aufgetragenen Rocksongs so an, als hätte sie den Akteuren vor allem sehr viel Spaß gemacht. Und um ein neues Mitglied in den Vibe dieser Musik einzuführen, gibt es tatsächlich keine bessere Variante. Motorpsycho lassen in Sachen eigene Ansprüche hier die Luft raus und machen eine Reihe von Stücken, mit denen sie sich ein bisschen kaputtspielen und einpegeln können. Das sorgt auf der einen Seite für den etwas blöden Effekt, dass the Tower nicht so wirklich die Klasse hat, die die letzten Projekte so cool machte und songwriterisch etwas hinterherhumpelt. Man muss sich nichts vormachen, das hier ist die vielleicht langweiligste LP der Norweger seit dem ziemlich missglückten Still Life With Eggplant von 2013. Stücken wie Intrepid Explorer oder A.S.F.E. fehlt irgendwie konstant der gewisse Punch und beim 15-minütigen Prog-Epos A Pacific Sonata hätte die Hälfte an endlosem Gegniedel vollkommen ausgereicht. In überraschend vielen Momenten verzetteln sich die die drei Musiker hier gehörig und kommt nicht so richtig in die Gänge. Auf der anderen Seite tut es aber auch gut, dass sie es hier wieder etwas simpler angehen. Songs wie Bartok of the Universe oder In Every Dream House dürften beispielsweise live wesentlich besser flutschen als viele Nummern der letzten paar Alben und überhaupt ist es cool, mal wieder ein paar Tracks von dieser Band zu hören, die tatsächlich nur als solche funktionieren sollen und nicht nebenbei auf Albumkontext und Gesamtästhetik schielen (Ich verrate mich mit diesem Satz gerade selbst). Unter anderen Umständen wäre zumindest so ein genialer Song wie Stardust niemals passiert. In vielen Punkten erinnert mich the Tower dabei tatsächlich an frühere Werke wie Trust Us oder It's A Love Cult, bei denen Motorpsycho noch wesentlich unstrukturierter zu Werke gingen. Das hier ist ein Album, das nicht gedacht, sondern gespielt werden will. Damit ist es auf Konserve vielleicht ein bisschen weniger geil, aber man könnte es ja auch als Vorbereitung fürs nächste Konzert sehen. Ich für meinen Teil werde das zumindest tun, da ich in zwei Monaten beabsichtige, Motorpsycho endlich auch mal live zu sehen.





Persönliche Highlights: Bartok of the Universe / Stardust / In Every Dream House (There's A Dream of Something Else) / the Maypole

Nicht mein Fall: A.S.F.E. / Intrepid Explorer / A Pacific Sonata

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen