Montag, 20. Juli 2020

Too Soon

Juice WRLD - Legends Never Die
[ posthum | emo-trappig | deprimiert ]

Ungefähr zweieinhalb Jahre sind gerade Mal vergangen, seit im November 2017 mit Lil Peep der erste wichtige Vertreter der Emotrap-Szene starb und bereits in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit hat sich die Community um ihn herum zu einer sehr tragischen Angelegenheit entwickelt. Stand 2020 ist nach dem traurigen Ableben ihres vielleicht größten stilistischen Pioniers kein Jahr vergangen, in denen nicht ein weiterer integraler Charakter der Bewegung sein Leben ließ, wobei die Gründe dafür fast immer ein allzu gefährlicher Lebensstil und/oder Drogen gewesen sind. Der letzte in der Reihe ist zu diesem Zeitpunkt Jarad Anthony Higgins, besser bekannt als Juice WRLD, der im vergangenen Dezember an einem epileptischen Anfall starb, vermutlich ausgelöst durch eine medikamentöse Überdosis. Mit gerade Mal 21 Jahren. Und so traurig und finster allein schon dieser Umstand ist, wird das alles dadurch nicht besser, dass die besagten Todesfälle der jüngsten Zeit fast immer eine ziemlich ekelhafte Spur von schnellem Ausverkauf seitens ihrer Labels hinter sich herziehen. Lil Peep, Mac Miller und erst letzte Woche Pop Smoke hatten dabei im ersten Moment Glück und noch unveröffentlichte Alben in der Pipeline, die noch zu Lebzeiten angefangen wurden und damit zumindest ein Mindestmaß an Würde aufwiesen. Aber gerade bei Peep war das nur ein Jahr später auch schon vorbei und seine Rechteinhaber begannen, langsam aber sich die Reste seines Archivs auszuweiden. Von jemandem wie XXXtentacion, der zu diesem Zeitpunkt Release-mäßig schon ausgemolken zu sein scheint, will ich hier gar nicht erst anfangen. Dass es Juice WRLD mit Legends Never Die, seinem ersten posthumen Release, ähnlich gehen würde, war also zu befürchten. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte er zum Zeitpunkt seines Ablebens keine angefangene Platte mehr in Produktion, weshalb diese LP mehr oder weniger komplett von seinem Label zusammengestellt wurde. Mit 21 Tracks in 55 Minuten ist diese relativ umfangreich und macht auch von Anfang an keinen Hehl daraus, dass ihr Fokus die Tränendrüse seiner Fans ist. Das fängt mit einem dermaßen sperrigen Titel an und zieht sich bis zu strategisch platzierten Spoken Word-Interludes, in denen Momente des emotionalen Lamentos von Juice WRLD eingefangen wurden. Und an dieser Stelle entfaltet sich vielleicht gleich mein Hauptproblem mit dieser LP: Es stilisiert den Musiker zu einer Figur, die er zu Lebzeiten eigentlich nie so richtig war. Das folgende dabei bitte nicht falsch verstehen, ich selbst hielt diesen Typen für einen Künstler mit großem Potenzial und weiß, was er für die Strahlkraft von Emotrap getan hat, doch kann ich es leider nicht wirklich ernst nehmen, wenn ein 21-jähriger Crooner mit zwei Longplayern im Katalog hier als Legende bezeichnet wird. Zumindest noch nicht jetzt. Weder kann man auf so kurze Distanz den künstlerischen Fußabdruck von Juice WRLD abschätzen, noch ist er ein Musiker wie Elliott Smith oder Mac Miller, die Botschaften von lebensverändernder Geltung in ihrem Material verhandeln. Wenn er etwas war, dann sowas wie der toxische Exfreund des Traprap, der etwas fragwürdige, aber gute Jammerpopmusik macht. Was dieses Album noch seltsamer macht, denn natürlich macht er hier nicht plötzlich etwas ganz anderes. Obwohl für diese LP extra die denkbar tragischsten und emotional potentesten Songs des Rappers ausgesucht wurden, ist das narrativ noch immer ganz offensichtlich das eines jungen Typen, der seine ernsthaften Probleme unreif kompensiert und mit fiesen Substanzen bekämpft. Und diesen dann als eine Art weisen spirituellen Wegweiser darzustellen, ist ganz einfach nicht der Weg, ihn zu würdigen. Was auch ein bisschen dadurch verschlimmert wird, dass das hier Juice WRLDs bisher schwächste Sammlung an Songs ist. Abgesehen von ein paar ganz coolen Überraschungen wie Come & Go oder Life's A Mess ist das Problem einfach, dass hier zu sehr der übliche Standard seines Sounds gepusht wird, der über so eine Länge ganz einfach nicht trägt. Hört man sich Platten wie Goodbye & Good Riddance oder Death Race for Love an, gibt es den zwar auch, doch wird immer dafür gesorgt, dass musikalisch wenigstens ein bisschen Abwechslung in die Sache kommt. Legends Never Die tut das nicht, sondern schichtet nur Song um Song, was trotz der moderaten Länge darin resultiert, dass die LP nach der Hälfte ziemlich öde wird. Und obwohl das auch ziemlich doof ist, ist das gar nicht mal mein Problem mit diesem Album. Mein Problem ist viel eher, was diese Platte schon so früh nach Juice WRLDs Tod sein will. Es kann durchaus sein, dass Legends Never Die in fünf oder zehn Jahren einen Status wie Life After Death von Biggie haben wird, und ich bin ebenfalls der Meinung, dass mit diesem Künstler ein ziemlich talentierter junger Mann mit wenig ahnbarem Potenzial zu früh die Welt verließ. Doch ist das hier nicht das Album dieses Typen, sondern einer Illusion von Juice WRLD, in der er Jimi Hendrix ist. Und ob das der Wahrheit entspricht, das kann leider erst die Zeit entscheiden.


Hat was von
Trippie Redd
!

Lil Peep
Everybody's Everything

Persönliche Höhepunkte
Righteous | Come & Go | Stay High | Man of the Year

Nicht mein Fall
Anxiety (Intro) | Tell Me U Luv Me | Hate the Other Side | Up Up & Away

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