Donnerstag, 23. Juli 2020

Mama braucht Zucker

The Beths - Jump Rope Gazers
[ frisch | schneidig | raffiniert ]

Ich finde das ja inzwischen selber schon ein bisschen ätzend. Immer wieder diese euphorischen Artikel über schnufflige Pseudo-Neunzigerrock-Bands zwischen Garagenrock, Retro-Indie und Emorock zu schreiben, die in den meisten Fällen diese melancholisch-definierten Frontsängerinnen haben und Musik machen, die sommerlich und adoleszent klingt, aber auch irgendwie traurig oder zumindest so quirky-nachdenklich. Denn Musik wie diese ist auf diesem Format nicht erst seit gestern die zuckersüße Seuche. In den Top 20 meiner liebsten Alben der letzten Dekade waren gleich zwei Alben von Alvvays, umfassende Probs bekommen hier regelmäßig Platten von Frankie Cosmos, Press Club oder Snail Mail und was die erste Hälfte von 2020 angeht, hat sich auf meiner Sympathien-Liste das neue Album von Soccer Mommy als echter Aufsteiger erwiesen. Und mittlerweile bekomme ich, was Platten dieser Machart angeht, langsam mehr als ein bisschen das Gefühl, das es zu viel wird. Nicht, weil ich davon genervt bin oder diese Künstler*innen ihren Reiz verlieren, im Gegenteil: Sie werden immer besser. Und ich habe dabei vor allem ein bisschen die Angst, vorhersehbar zu werden. Weshalb ich anfangs so sehr gehofft hatte, diese neue LP von the Beths zu hassen. Oder zumindest, sie nur so mittel zu finden. Aber ich hätte besser wissen sollen, dass diese Hoffnung lächerlich war. Natürlich ist Jump Rope Gazers überdurchschnittlich gut und natürlich hat das hier gute Chancen, in meiner Jahresendliste aufzutauchen. Schließlich triggert es genau jene Rezeptoren, die bei mir inzwischen eine neurale Kurzwahl zu dem Teil meines Gehirns haben, der für Lieblingsalben verantwortlich ist, und wahrscheinlich auch ein bisschen dem Teil, der Suchtverhalten aufbaut. Wobei das alles auch nicht ausschließlich meine Schuld ist, sondern zum großen Teil natürlich die der Beths, die hier einfach mal eine kriminell geniale Platte aufnehmen und mir damit ja keine andere Wahl lassen, als sie dafür zu hofieren. Vor allem, weil sie dem ganzen Rezept des spritzigen College-Powerpop hier nochmal eine Extradosis Adrenalin und Hochglanzpolitur verpassen. Im Gegensatz zu vielen Kolleg*innen fürchten sich diese vier MusikerInnen aus Auckland nicht davor, die dicke klangliche Fondantglasur großzügig auf ihrer Rock'n'Roll-Torte zu verkleckern und auch mal nach Avril Lavigne oder der bösen, poppigen Version von Weezer zu klingen. Zusammen mit ihrem sowieso schon gefährlich eingängigen Songwriting (I'm Not Getting Excited habe ich seit Tagen im Ohr) und dem teilweise sehr gefälligen Timbre von Elizabeth Stokes ergibt das hier eine nicht weniger als hochexplosive Mischung an Hit-Potenzial, bei der jeder Song so klingt, als könnte er das Intro einer fiktiven Sitcom sein. Und viel mehr Hexenwerk ist an dieser Platte am Ende auch nicht dabei. Verdammt gutes Songwriting, verdammt gute Produktion, verdammt gut geschrieben Texte und ein pawlow'scher Reflex meinerseits, der bei solcher Musik direkt den Dopaminhahn aufdreht. Deshalb wird Jump Rope Gazers weder die erste noch die letzte LP dieser Machart sein, die bei mir funkeln in den Augen auslöst. Scheint sich nicht ändern zu lassen. Also können wir uns alle auch genauso gut dran gewöhnen.


Hat was von
Weezer
Pacific Daydream

Soccer Mommy
Color Theory

Persönliche Höhepunkte
I'm Not Getting Excited | Dying to Believe | Jump Rope Gazers | Acrid | Do You Want Me Now | Out of Sight | Mars, the God of War | You Are A Beam of Light | Just Shy of Sure

Nicht mein Fall
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