Freitag, 1. November 2019

No One Does It Better

[ sommerlich | melancholisch | niedlich ]

Einfach nur schöne Popsongs zu schreiben ist manchmal gar nicht so einfach, wie es scheint. Nicht zuletzt deshalb, weil einem an irgendeinem Punkt vorgeworfen werden wird, einfach nur schöne Popsongs schreiben zu wollen. Und mitunter ist es auch die wesentlich größere Herausforderung, ein bereits gut bestelltes Feld zu beackern, als um jeden Preis alternativ zu sein. Die kanadische Band Alvvays ist in den letzten zehn Jahren vielleicht das beste Beispiel dafür gewesen. Es ist ein legitimes Argument, ihre Musik deshalb zu schmähen, weil sie im Prinzip schon von zig Anderen gemacht wird und ehrlicherweise kein bisschen originell ist. In der Indierock-Sparte des leicht psychedelisch angetüdelten, sommerlich-adoleszenten Shoegaze-Surfpop sind sie nicht nur eine von vielleicht tausend Gruppen, sie sind auch ohne jede Frage die Trittbrettfahrer bereits vorher erfolgreicher Acts. Als 2014 ihr selbstbetiteltes Debüt erschien, gab es Beach House schon fast zehn Jahre, Bands wie die Drums, Still Corners, Melodys Echo Chamber und Wild Nothing waren in Mode gekommen und wieder gegangen und so langsam stellte sich bereits die Ermüdung um dieses ganze Subgenre ein. Es gab damals nicht wenige Musikfans, die Alvvays als nicht mehr sahen als die nächste moderate Welle des Sommerloch-Rock'n'Roll, die maximal einen YouTube-Hit produzierte und dann wieder verschwand. Und ganz ehrlich, es wäre plausibel gewesen. Was unterscheidet gerade diese Formation von den vielen anderen und warum schreibe ich in der Kategorie "Schönheiten der Dekade" über sie (wohlgemerkt zum zweiten Mal), anstatt über Diiv, the Holydrug Couple oder Japanese Breakfast? Ich habe eine Theorie dazu, aber die wird vielleicht nicht bei allen von euch auf Zustimmung stoßen. Sie lautet: Alvvays machen es einfach besser als alle anderen. Sie sind die Band, die das perfektioniert hat, was all diese anderen Leute schon lange ausprobierten und die die klangliche Ästhetik und die kompositorischen Skills hatte, daraus die bestmöglichen Songs zu machen. Zuallermindest muss ich sagen, dass es in all den Jahren für mich keine Platte gab, die die besagte Formel des schnuckeligen Ostpazifik-Indierock besser ausformuliert hat als dieses Debütalbum. Nicht mal annähernd. Wenn es eine LP gibt, die ihm in meinen Augen zumindest die Stirn bieten kann, dann ist das Antisocialites, das zweite Album von Alvvays. Was aber nur noch mehr unterstreicht, was ich von ihrer Musik halte. Die KanadierInnen haben den Dreh einfach raus. Und gerade auf diesen neun Songs strahlen sie ganz besonders hell. Sie haben das optimale Timbre, das genau richtig pappige Schlagzeug, die adäquat passenden Synth-Flächen und mit Molly Rankin die einzig wahre Stimme für diese Art von Musik. Selten habe ich eine Sängerin gehört, die selbst bei den fiepsigsten Falsett-Tönen so ultimativ gechillt klingt und bei der man trotzdem jede emotionale Nuance mitbekommt. Sie ist definitiv die Speerspitze dieser Formation und steht auch klanglich im Rampenlicht der LP. Wobei Alvvays keineswegs nur aus ihr bestehen, was man diesem Album ebenfalls wunderbar anhört. Der großartige Mix von Chad Vangaalen und John Agnello ist so konzipiert, das jeder Part immer genau im richtigen Moment seine Bühne bekommt und im großen und ganzen trotzdem alles herrlich ausbalanciert ist. Besonders toll finde ich, dass man in vielen Tracks einen sehr präsenten Bass heraushört, der mitunter den subtilen Groove der Songs noch weiter festigt. Gute Produktion bedeutet in diesem Fall aber nicht, dass alles sehr hochauflösend ist. Alvvays ist zwar nicht direkt ein LoFi-Album in dem Sinne, stützt sich aber stark auf die die organische Wärme eines verwachenen, gefilterten Sounds, der möglichst analog klingen soll. Da viele Songs hier eher ein bisschen melancholisch sind und vor allem auf klanglichen Flächen aufbauen, passt das äußerst gut oder zumindest besser, als es auf Antisocialites gepasst hätte. Es unterstützt den pittoresken Vibe eines verstaubten Homevideos vom Italienurlaub aus der Kindheit, den dieses ganze Album irgendwie versprüht. Und es ist ein weiteres Element, das Alvvays genau für diese Art von Songwriting optimiert haben. Dabei muss man auch durchaus respektieren, wie viel Arbeit und Zeit die KanadierInnen in so eine Platte investieren. Für neun Stücke in 32 Minuten brauchten die fünf MusikerInnen drei Jahre, eine Bilanz, über die jeder Soundcloudrapper den Kopf zusammenschlägt. Dafür wurde hier (und beim Nachfolger) aber auch nichts dem Zufall überlassen und alles ist unglaublich stimmig. Wenn die Frage also ist, warum ausgerechnet Alvvays es besser machen als alle anderen, lautet die passendste Antwort: Sie schreiben eben nicht nur gute Popsongs, sie perfektionieren sie auch. Und das bis dato mit einer atemberaubenden Erfolgsquote.

Klingt ein bisschen wie:
Hinds
Leave Me Alone

Still Corners
Slow Air

Persönliche Highlights: Adult Diversion | Archie, Marry Me | Ones Who Love You | Next of Kin | Party Police | the Agency Group | Dives | Atop A Cake | Red Planet

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