Montag, 27. Juli 2020

Hegel auf dem Schlagzeug

[ freiförmig | philosophisch | experimentell ]

Unter allen Gattungen der Jazzmusik ist Free Jazz nicht gerade diejenige, die sich des Rufes erfreut, besondern einfach zugänglich zu sein, und man könnte meinen, vom musikalischen her seien solche Sachen allein schon nerdig genug. Die Musikgeschichte lehrt uns auch, dass es nicht immer unbedingt von Vorteil ist, zwei unterschiedliche Komponenten von Geek-Attitüde miteinander zu verbinden. Aber wenn es danach geht, dann hat Asher Gamedze diesbezüglich wohl einfach das Memo nicht bekommen. Denn mit Dialectic Soul macht er hier mir nichts dir nichts eine der wahrscheinlich verkopftesten und unzugänglichsten Platten der gesamten Saison - klanglich wie konzeptuell. Dabei ist das hier gerade mal sein Debüt als Solokünstler und der Drummer aus Kapstadt Szene-technisch gesehen noch ein mehr oder weniger unbeschriebenes Blatt. Letzteres könnte dabei vor allem daran liegen, dass sein Werdegang als Musiker weniger Teil einer Szene war, sondern er vor allem akademisch geschult wurde und er nie zu den coolen Kids gehörte, die in der Band mitspielen, sondern die im Schulorchester sind. Was er dort allerdings gelernt hat, ist nicht nur ein vorzügliches nuanciertes Schlagzeugspiel, sondern auch das Erschaffen theoretischer Überbauten zu seiner Musik. Und Dialectic Soul ist in dieser Hinsicht quasi buchstäblich sein Gesellenstück. Die vorliegenden acht Stücke sind im wahrsten Sinne des Wortes Teil der Masterarbeit von Gamedze, in der er sich vor allem mit der südafrikanischen Jazz-Bewegung auseinandersetzt und damit vor allem den klanglichen Part dieser LP definiert. Weil das Streber-technisch aber bestenfalls Einsteigerniveau ist, baut er um dieses Konzept herum noch eine zweite theoretische Ebene, in der er sich vor allem mit der Dialektik-Theorie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel auseinandersetzt und wie die auf Postkolonialismus, Sklavenhandel und die panafrikanische Widerstandsbewegung anzuwenden ist. Wobei spätestens hier wahrscheinlich alle außer der Maestro selbst ausgestiegen sind. Denn die wesentlichen Mittel, mit denen Gamedze seine Ideen hier kommuniziert, sind erwartbar unlyrisch und kommunizieren sich fast ausschließlich über die Expression der Instrumente. Zwar gibt es ab und zu ein bisschen Gesang und in Interregnum sogar einen gesprochenen Monolog, doch kann ich nicht sagen, dass diese Aspekte für mich irgendwas zum besseren Verständnis beitragen. Und ehrlich gesagt müssen sie das auch gar nicht. Denn Dialectic Soul ist auch dann ein sehr gutes Album, wenn man alle konzeptuellen Elemente von seiner Musik abstreift. Wenn Free Jazz mit der Intensität seiner Performances steht und fällt, dann ist das hier ein sehr gutes Beiepiel für ein sehr treffsicheres Projekt dieser Spielart. Mittelpunkt ist dabei natürlich das immer wieder brechende und holpernde Schlagzeug-Rückenmark des Bandleaders, das spielerisch absolut grandios ist, aber auch der Rest der Gruppe macht einen mehr als guten Job. Ganz im Stil der südafrikanischen Jazz-Tradition ist diese vor allem auf Bläser reduziert und klingt sehr rustikal und breit, doch im Gegensatz zu den artverwandten Konzepten von Shabaka Hutchings oder Melt Yourself Down ist vieles hier wesentlich zurückhaltender und verspielter. Statt dicker Riffs gibt es hier immer wieder kleine Farbtupfer, bei denen man herrlich jede Nuance des Instruments heraushört, was als alternativer klanglicher Ansatz definitiv auch mal interessant ist. Ich will nicht behaupten, dass ich mich mit südafrikanischem Jazz besonders gut auskenne, aber er begegnet mir seit einigen Jahren doch immer häufiger. Und aus der handvoll guten Platten, die ich aus dieser Nische bisher gehört habe, ist das hier nicht nur eines der besten Alben, sondern auch eines, das mal ein bisschen anders an die Sache herangeht. Und da reden wir in diesem Moment gerade nur von der eigentlichen Musik.


Hat was von
Matana Roberts
Coin Coin Chapter Four: Memphis

Max Roach
We Insist! Max Roachs Freedom Now Suite

Persönliche Höhepunkte
State of Emergence Suite | Siyabulela | Interregnum | Eternality

Nicht mein Fall
-

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