Dienstag, 28. Juli 2020

Ein stiller Stern


[ ätherisch | getragen | mächtig ]

Ganz heimlich ist in den letzten zehn Jahren aus Julianna Barwick, einer recht unscheinbaren Newcomerin im Bereich des Ambient Pop, eine der Künstlerinnen mit dem besten Ruf in der gesamten Szene geworden. Nicht, dass es im Bereich der ewigen Leisetreterei und der verhuschten Figuren jemals große Shooting Stars gegeben hätte (außer Brian Eno), doch im Gegensatz zu Leuten wie Tim Hecker, Liz Harris oder Nicolas Jaar, die in den richtigen Kreisen wenigstens noch geläufige Namen sind, ist Barwick immer diejenige gewesen, die alle mögen, aber über die niemand redet. Mit the Magic Place von 2011 und Nephente von 2013 hat die New Yorkerin während der letzten Dekade gleich zwei echte Fanfavoriten veröffentlicht, bei denen die Bezeichung "Geheimtipp" nur relativ zählt und die ihre Lorbeeren absolut verdienen. Nur machte sich die Künstlerin danach plötzlich sehr rar und abgesehen vom 2016 veröffentlichten Will gab es für eine Weile erstmal nichts von ihr. Was Healing is A Miracle jetzt irgendwie wie eine kleine Rückkehr erscheinen lässt, denn zumindest ich hatte in den vergangenen Jahren trotz meiner Verehrung ein bisschen vergessen, dass Barwick überhaupt noch Musik macht. Aber keine Sorge: Bei wenigen Platten ist es dieses Jahr so einfach gewesen, sich wieder komplett in die Ästhetik einer etwas entfremdeten Künstlerin fallen zu lassen. Der Vorteil an Barwicks Musik war ja schon immer, dass diese zwar eindeutig experimentell und verkunstet war, aber deswegen nie schwer zugänglich. Ihre Platten waren die Sorte Ambient Pop, die sich wie warme Kissen um die Ohren legen und in denen man einlullendes Meeresrauschen hört. Und Healing is A Miracle kehrt an vielen Stellen an diesen magischen Sehnsuchtsort zurück. Die acht Stücke hier klingen nach Natur, nach Wildnis, nach Ruhe und auch ein bisschen nach Geborgenheit und ja, auch hier ist dafür wieder ein gewisser Hang Barwicks zu den Stilelementen des New Age verantwortlich. Das wesentlichste Mittel hier ist aber diesmal vor allem die Stimme der Künstlerin, mit der sie fast die kompletten Aufbauten dieser mitunter doch recht gewaltigen Songs stämmt. Mit den vielen Hall- und Echo-Effekten und eventuell sogar mit Autotune spannt sie dabei eine imposante Atmosphärik auf, die ein bisschen klingt wie Justin Vernon, wenn er keine Texte mehr schreiben würde. Dazu gibt es dann minimalistische Motive von Klavier oder Synthesizer, als ganz kleine Nuancen sogar Harfen und Flöten. Und wenn das noch nicht reicht, sind mit Mary Lattimore, Jónsi und Nosaj Thing auch drei weitere begnadete VokalistInnen mit am Start. Der Selling Point des Albums ist dabei am Ende denkbar einfach: Es klingt in jeder Sekunde wunderschön. Selbst wenn man die Musik von Julianna Barwick schon kennt und ihre alten Platten liebt, ist das hier nicht selten nochmal einen Ticken größer und wunderlicher als ihr bisherigen Output, wobei es sich von selbst versteht, dass diese LP natürlich am besten mit ein paar guten Kopfhörern zu konsumieren ist. Womit ich schlussendlich an dem Punkt wäre, der spätestens jetzt nochmal angesprochen gehört: Dieses Album ist sehr gut und das ist bei dieser Künstlerin nicht das erste Mal der Fall. Es wird wahrscheinlich wieder von vielen Menschen gemocht werden. Und wenn das so ist: Bitte, bitte lasst es diesmal die Menschen wissen. Denn diese Musikerin könnte schon lange eine der ganz großen im Business der stillen Schönheit sein, aus irgendeinem Grund ist sie aber immer noch ferner liefen. Es wäre dieser Platte angebracht, wenn sich das ändert. Auch wenn ich selbst erst jetzt damit anfange.


Hat was von
Sarah Neufeld
the Ridge

Bon Iver
i,i

Persönliche Höhepunkte
Inspirit | Healing is A Miracle | In Light | Safe | Flowers | Wishing Well | Nod

Nicht mein Fall
-

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