Montag, 3. Februar 2020

Neues aus dem Kanye-Club

[ abstrakt | artsy | frickelig ]

Es ist nicht immer der Fall und in den letzten Jahren hat es weiß Gott auch schon große Reinfälle aus dieser Richtung gegeben, doch generell kann man schon sagen, dass man gut damit beraten ist, junge Künstler*innen aus dem Kader von G.O.O.D. Music im Auge zu behalten. Seit inzwischen über fünzehn Jahren ist das 2004 von Kanye West begründete Zwischending aus Label, kreativer Spielwiese und Talentforum ein Austauschplatz für spannende musikalische Ideen und künstlerische Prozesse, auf dem unter anderem heutige Stars wie Kid Cudi, Big Sean, Pusha T oder Travis Scott erst so richtig groß wurden und andere wie Shack Wes oder Desiigner ihre ersten Schritte als Profimusiker*innen machten. Eine Bilanz, die logischerweise zu einem gewissen Ruf in der Welt der Popmusik führt und unter anderem dafür sorgt, dass eigentlich jeder neue Signee des Labels erstmal genau analysiert gehört. Was bei einigen einfacher ist als bei anderen. Als die New Yorker Rapperin-Schrägstrich-Produzentin Danielle Balbuena aka 070 Shake 2016 ihre Unterschrift unter den G.O.O.D. Music-Vertrag setzte, war sie in vielerlei Hinsicht noch ein unbeschriebenes Blatt. Die wenigen Songs, die von ihr auf Soundcloud existierten, hatten zwar massenhaft Streams, dennoch sagten sie wenig über den künstlerischen Charakter der damals gerade mal 19-jährigen aus und das Signing erschien zunächst wie ein seltsamer Move des Labels. Und in den ersten Jahren führte das auch dazu, dass man sie größtenteils ignorierte und nicht viel Notiz von ihren Sachen nahm. Erst als Kanye West persönlich sie 2018 zu einem der wesentlichen Kollaborateur*innen auf Ye machte, wurde man plötzlich aufmerksam auf ihren Output, der sich bis dahin auch mächtig entwickelt hatte. Im gleichen Jahr erschien mit Glitter auch ihr erstes größeres Projekt, das allerdings mehr Mini-Mixtape als Debüt war. Diese Rolle nimmt zwei Jahre später nun Modus Vivendi ein, mit dem Balbuena auch endlich das große Stück Hype-Kuchen abbekommt, das einem Protegé von Kanye gebührt. Seit letzter Woche wird diese LP einhellig als heißes Newcomer-Teil gehandelt und 070 Shake als der nächste große Coup von G.O.O.D. Music hofiert. Und so wie ich das sehe, haut diese Beurteilung auch durchaus hin. Wobei das bei diesem Album auf eine andere Weise der Fall ist als vielleicht bei ihren meisten Kolleg*innen. Denn anders als bei denen spürt man bei ihr schon ganz am Anfang eine deutlich stärkere experimentelle Energie. Modus Vivendi ist beim besten Willen keine Platte, die kommerzielle Ansprüche hat, dafür aber eine umso eigenwilligere Ästhetik vorfährt und damit eventuell tatsächlich das Zeug hat, neue Impulse zu setzen. Zwar steht Balbuena hier klanglich sehr in der Tradition alternativer R'n'B-Künstler*innen wie Sudan Archives, FKA Twigs oder Porches, doch hat sie dabei eine Dreistigkeit, die erfrischend anders ist. Wo ich bei einigen der eben genannten Acts bisher häufig das Problem hatte, dass sie sehr eigenschafts- und emotionslose Musik machten, spürt man hier direkt jede Menge Charakter, der selbst durch die komplexeste Kunstigkeit der 14 Tracks hindurch schimmert. Ihre aufgekratzte und adoleszente Angepisstheit erinnert mich dabei nicht selten an JuiceWRLD oder Princess Nokia, nur dass sie eher die emanzipierte Kunststudentinnen-Version dieser Leute ist. Allerdings ist es weniger ihre gesangliche Leistung, die diese LP hier besonders macht, sondern ihr immenses Talent als Songwriterin und Produzentin. Balbuenas Stil ist dabei ähnlich kaltblütig und halbnarkotisch wie viele moderne Trap- und R'n'B-Projekte, doch gleichzeitig extrem vielschichtig und detailliert. Gerade was Sampling angeht, hat sie ähnlich große Ambitionen wie ihr Labelchef und greift dafür gerne auch mal auf ungewöhnliches Ausgangsmaterial zurück. Was unterm Strich einen äußerst differenzierten und kreativen, aber insgesamt doch kohärenten und schicken Sound bedeutet. Und obwohl sie hier absolut keine Hits schreibt, ist doch jeder Track auf eine Art charakteristisch und ändert die Richtung der Platte. Die Dinge, die bei der ganzen Sache nicht stimmen, beschränken sich mehr oder weniger auf Details. So finde ich zum Beispiel schade, dass die ersten beiden Songs nur als kurze Vignetten eingeblendet werden, obwohl sie als Idee extrem stark sind, dass der Einfluss des Mentors manchmal sehr omnipräsent ist und dass Balbuena textlich definitiv noch zulegen muss. Abgesehen davon ist Modus Vivendi aber ein angenehm rundes Album und insbesondere deshalb bemerkenswert als erstes kommerzielles Projekt von 070 Shake. Nicht viele Leute, nicht mal auf einemr so renommierten Plattform wie G.O.O.D. Music, machen gleich mit ihrem Debüt so viel erfrischendes und spannendes wie sie und sind gleich auf Anhieb den Wind wert, der um sie gemacht wird. Und wir dürfen nicht vergessen: Die gute Frau ist gerade Mal 22 Jahre alt, hat also noch mächtig Platz, sich zu entwickeln. Und egal wie gut diese Platte auch immer ist, viel neugieriger bin ich jetzt auf die, die sie in den nächsten zehn Jahren noch machen wird.



Klingt ein bisschen wie
JuiceWRLD
Goodbye & Good Riddance

Kids See Ghosts
Kids See Ghosts

Persönliche Höhepunkte
Don't Break the Silence | Come Around | Morrow | the Pines | Guilty Conscience | Divorce | It's Forever | Rocketship | Microdosing | Nice to Have | Under the Moon | Terminal B | Flight319

Nicht mein Fall
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