Samstag, 22. Februar 2020

Das gute Zeug

[ hartkantig | schmissig | groovy ]

Die Trap-Bewegung mag im allgemeinen immer wieder ein Phänomen sein, mit dem ich so meine Probleme habe und das mich immer wieder vor neue Rätsel stellt, eines kann man aber definitiv sagen: In den letzten zehn Jahren wurde der internationale Mainstream tatsächlich auch immer von denen mitbestimmt, die stilistisch zu den progressiven und innovativen Impulsgeber*innen in der Szene gehörten. Ob das nun die Migos, Lil Peep oder Travis Scott waren, fast immer war jemand im Zentrum des klanglichen Interesses, der auch wirklich etwas sinnvolles dazu beitragen konnte. Und meiner Meinung nach ist das ein äußerst wertvoller Zustand. Denn wie es aussehen kann, wenn dem nicht so ist sieht man ja zurzeit ganz gut in Deutschland, wo die wirklich spannenden Acts noch immer größtenteils im Untergrund schimmeln, während hirntoter Cloud-Schlager so erfolgreich ist wie noch nie. Aber so blöd das auch ist: Eigentlich ist es ja die Regel. Und besonders nach einem gerade vergangenen Jahrzehnt, das so dermaßen von den Einflüssen des Trap geprägt wurde, ist es nur logisch, dass inzwischen ständig Trittbrettfahrer auf den Plan treten, die sich musikalisch ins gemachte Nest setzen und den schnellen Erfolg in der Bewegung suchen. Ein mittlerweile auch hierzulande ziemlich erfolgreiches Modell dieser Art hört auf den Namen $uicideboy$ und besteht aus den zwei ehemaligen Punkern $crim und Rudy Da Cherry aus New Orleans, die bereits 2014 ins lukrative Cloudrap-Geschäft umsattelten und seit ihrer Gründung vor allem für ihren üppigen Release-Kalender bekannt sind. Bewusst distanziert geben sie ihrer Musik die Eigenmarke 'Shadow Rap', die künstlerische Souveränität ausstrahlen soll, letztendlich bedeutet das aber auch nur, dass sie eine eher traditionell hartgesottene Spielart von Südstaaten-Trap mit Horrorcore-artigen Texten bevorzugen. Und bisher waren sie damit auch eher eine Gruppe unter vielen, die mir im großen Raster der Yungs und Lils nicht weiter auffiel. Zumindest bis letzten Freitag, als mit Stop Staring at the Shadows ihr erstes Projekt im neuen Jahr erschien. Nominell gibt es dabei erstmal wenig besonderes, denn mit 12 Tracks in 26 Minuten ist das hier ein weiteres ihrer typischen Kleinformate, mit denen sie schon seit Gründung den Großteil ihrer Diskografie pflastern. Interessant wird es erst dann, wenn man sich diese Songs mal richtig anhört. Schon beim ersten Durchlauf der Platte fiel mir auf, wie viel schmissiger und fetter die $uicideboy$ hier insgesamt klingen und was für ein unglaublich lebhafter Vibe von diesen Songs ausgeht. Von den wenigen Sachen, die ich bisher von der Band gehört habe, hob sich das hier direkt auf Anhieb durch viel mehr Stimmigkeit, Kreativität und Klasse ab und ich hatte zum ersten Mal wirklich Spaß dabei, diese Jungs zu hören. Und nach einigen weiteren, analytischeren Hördurchgängen kann ich auch ungefähr sagen, warum. Wenn Stop Staring at the Shadow in einer Sache gut ist, dann die Auswahl diverser Einflüsse aus allen möglichen Nischenströmungen des Cloudrap zu stibizen und damit gekonnt zusammengefügt ein extrem unterhaltsames Gesamtergebnis zu schaffen. Vom klassischem Atlanta- und New Orleans-Sound über Emo-Trap und düsteres Hihat-Geballer bishin zu Versatzstücken aus Dancehall, Industrial und Metal ist hier fast alles dabei und die beiden nehmen hier so gut jede Strömung mit offenen Armen auf. An manchen Stellen erinnern sie mich sogar ein Protagonist*innen aus europäischen Szenen, die in Amerika ja prinzipiell kein so gutes Standing haben. Als Produzenten schneidern sie dabei für fast jeden Track eine völlig andere Marschrichtung, für die sie dann als Rapper fast immer eine passende und kreativ gestaltete Vokalperformance finden. Songwriting-technisch ist dabei so gut wie jeder davon brilliant und die sprechgesanglichen Skills, überraschten mich ebenfalls durch ihre Vielschichtigkeit. Autotuniges Emo-Gecroone hat hier ebenso Platz wie berstiger Hartkanten-Rap, jamaikanisches Toasting und vom der lokalen Bounce-Bewegung inspirierte Flows. Trotz aller Vielfalt hat Stop Staring at the Shadows dabei am Ende eine sehr kohärente Struktur, die selbst stilistisch weniger sprunghafte Rap-Platten nur selten vorweisen können, was mich als LP-Autist zusätzlich glücklich macht. So schaffen es die $uicideboy$ hier, in nur 26 Minuten ein ziemliches Volumen an Inspirationen zu einer äußerst geschmackvollen Rap-Platte zu formen, die sogar noch jede Menge Spaß macht. Letztendlich ist dieses Album eigentlich nur eine Sache nicht, und das ist originell. So schön gepuzzelt, kompositorisch spannend und energisch performt das meiste hier auch sein mag, technisch gesehen ist es nur eine gut gemachte Fusion der Stile, die vorher bereits andere ausgeheckt haben. Und wo Travis Scott und Gucci Mane vor Jahren noch experimentieren und ausprobieren mussten und dabei natürlich bisweilen floppten, nehmen sie sich jetzt einfach die bewährten Stilmittel und verkonstruieren sie miteinander. Das ist zwar keinesfalls verwerflich und in meinen Augen sogar ein bisschen clever, visionär ist aber auch was anderes. Wobei das das einzige wäre, das diesem Album in seiner Gesamtheit fehlt, um mich komplett von den Socken zu hauen. Das und dass es vielleicht ein bisschen länger wäre.



Klingt ein bisschen wie
LGoony
Grape Tape

Yung Lean
Unknown Memory

Persönliche Höhepunkte
I Wanna Be Romanticized | One Last Look at the Damage | [whispers indistintly] | Mega Zeph | Putrid Pride | That Just Isn't Empirically Possible | What the Fuck is Happening | Scope Set

Nicht mein Fall
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