Mittwoch, 19. Februar 2020

Wir geben Vollgas

[ rauhbeinig | spaßig | kreativ ]

Es ist ein bisschen ein Geheimnis und niemand scheint so richtig Notiz davon genommen zu haben, doch in den letzten zehn Jahren sind Kvelertak still und heimlich eine der besten Hardcore-Bands in ganz Europa geworden. Lange sind zwar die Zeiten vergangen, in denen ihr selbstbetiteltes Debütalbum im Heimatland Norwegen eine goldene Schallplatte einheimste und sich die coolen Kids weltweit von Casper bis Dave Grohl in ihr Merchandise einkleideten, doch in den Folgejahren des Hypes hat die Gruppe aus Stavanger tatsächlich das beste getan, um daran nicht mehr gemessen werden zu müssen. Und das mit Erfolg. In einer vom anfänglichen Erfolg angenehm unbeeindruckten Weise und mit bewundernswerter Gründlichkeit in ihrer musikalischen Arbeit, bei der Qualität ganz klar den Vorzug vor Quantität bekam, haben Kvelertak es peu à peu geschafft, ihren Sound nicht nur zu stabilisieren, sondern ihn um diverse Aspkete auszuweiten und größer zu machen. Nachdem ihre zweite LP Meir 2013 noch ein schweres Formtief in Folge des großen Hypes aufzeigte, war es 2016 der Nachfolger Nattesferd, der die Norweger an der eigenen Headbanger-Mähne aus dem Sumpf zog und mit Vollgas nach vorne ging. Die Band lenkte ihren klanglichen Fokus hier verstärkt auf oldschooligen Heavy Metal und Hardrock (dem sie ästhetisch ja schon immer näher standen als ihren eigentlichen Wurzeln in der skandinavischen Hardcore-Punk-Bewegung), experimentierten an allen Ecken und Enden und wurden vor allem leichter und eingängiger. Die Platte wurde für mich ein überraschendes Highlight der damaligen Saison und setzte eine Kreativität in dieser Gruppe frei, die ich von ihnen nie vermutet hätte. Was Splid, ihr erstes Album seitdem, im Vorfeld natürlich unglaublich interessant machte. Zum einen waren Kvelertak hier mehr oder weniger von allen Konventionen befreit, was sie stilistisch in diverse Richtungen führen konnte, was prinzipiell ja ziemlich toll ist. Zum anderen war ich ob der ersten Vorboten der LP aber auch einigermaßen skeptisch, ob die von ihnen eingeschlagene Richtung denn von Vorteil wäre. Mit ihren ersten Songs in englischer Sprache und einem Gastauftritt von Mastodon-Frontmann Troy Sanders sendete die Band in ihrer Promophase seltsame Signale und ich hatte ein bisschen Angst, dass die Norweger es diesmal vielleicht übertreiben würden mit dem Spieltrieb. Im Endeffekt unberechtigt, denn Splid ist wahrscheinlich das stärkste und kreativste Album, das es von ihnen bisher gibt. Ganz im Stil von Nattesferd ist auch LP Nummer vier extrem vielschichtig und bunt, lässt viel Luft an den brachialen Hardcore-Sound und ist unmöglich in eine stilistische Nische zu packen. Mehr noch als auf dem Vorgänger gehen hier Einflüsse aus Heavy Metal und Hardrock, mitunter sogar aus Prog, Black Metal und Folk mit ein, die Kvelertak teilweise an Acts wie Baroness oder ihre Landsmänner Spidergawd erinnern lassen. Ihre Kernkompetenzen bleiben dabei im wesentlichen aber erhalten, was bedeutet, dass die Platte trotz aller experimentellen Ansätze am Ende noch immer ein fettiges Stück skandinavischer Rockbretter bleibt. Das Riffing ist unglaublich schmissig, die melodischen Hooks kann man prima mitgrölen und dass mit Ivar Nikolaisen seit 2018 ein neuer Sänger dabei ist, hätte ich zunächst fast gar nicht gemerkt. Dass die Texte hier nun manchmal auf englisch sind und an ausgewählten Stellen Gastperformances zu hören sind, macht viele Songs nicht unbedingt besser, stört aber auch in den wenigsten ernsthaft. Der Fokus liegt eher auf den klanglichen Veränderungen, die hier noch besser und wirkungsvoller als auf Nattesferd umgesetzt werden und mich immer wieder neu überraschen. Zehn Jahre nach dem großen Hype um ihr Debüt haben Kvelertak somit ein Album aufgenommen, auf dem sie sich tatsächlich als die gigantische Band von internationalem Rang etablieren, die sie schon damals sein sollten. Und dass es jetzt nicht mehr so viele Leute interessiert, ist vielleicht sogar besser für sie, denn so können sie weiter in Ruhe an ihrem Sound schmieden, damit er auch weiterhin einer der besten in Europa bleibt.



Klingt ein bisschen wie
Spidergawd
Spidergawd IV

Baroness
Purple

Persönliche Höhepunkte
Rogaland | Crack of Doom | Necrosoft | Bråtebrann | Uglas Hegemoni | Fanden ta Dette Hull | Delirium Tremens | Ved Bredden Av Nihil

Nicht mein Fall
Tevling


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen