Samstag, 29. Februar 2020

Black History Infotainmant

[ klassisch | ambitioniert | politisch ]

Mit mittlerweile etwas über 20 Jahren im Geschäft und einem konsequent starken Backing von diversen Szene-Größen seit seinen ersten Schritten als Künstler sollte es 2020 eigentlich nicht mehr so einfach sein, jemanden wie Royce Da 5'9" zu übersehen. Seit Ewigkeiten schon spielt der Rapper aus Detroit bei den Großen mit, arbeitete als Ghostwriter für Puff Daddy und Dr. Dre, gründete vor einigen Jahren eine exklusive Formation mit DJ Premier und ist nach einem hässlichen Beef mit Eminem anfang der Zwotausender mittlerweile dessen wichtigster Sparringpartner. Trotz dieser großzügigen Zuarbeiten schaffte es Royce in all den Jahren jedoch nie, sich über die Position der zweiten Geige hinwegzusetzen und ist nach heutigem Maßstab einer von den Rappern, die zwar von Szene-Nerds mit jeder neuen Platte heilig gesprochen werden, darüber hinaus aber nach wie vor ziemlich unbekannt sind. Sicher liegt das auch daran, dass er nie den entscheidenden Schritt in Richtung Mainstream ging und immer ein relativ komplexer Hirnschmalz-Texter war, allerdings ebenso niemand, der sich absichtlich unzugänglich oder weird gab. Und gerade wenn man sich ansieht, wie erfolgreich im Moment Leute wie Kendrick Lamar, J.Cole oder Lupe Fiasco sind, muss man sich doch fragen, warum ausgrechnet ihm diese Aufmerksamkeit seit jeher verwehrt bleibt. Zugegeben, auch ich habe seinen kompletten Output bis hierhin völlig ignoriert, doch bekam ich schon mit, wie krass Platten wie Layers oder the Book of Ryan von den Geeks in der Vergangenheit gefeiert wurden und fragte mich zumindest, was es mit diesem Typen auf sich hatte. Und ich bin im Nachhinein unheimlich froh, dass ich mich nun endlich auch dazu entschieden habe, über sein neuestes Album the Allegory mal ausführlich zu schreiben, denn gerade mit dieser LP scheint er etwas wirklich besonderes geschaffen zu haben. Das wird zuerst mal dadurch deutlich, dass an dieser Stunde Musik auch wirklich das meiste tatsächlich von Royce selbst kommt. Alle Beats hier wurden von ihm produziert, nur gelegentlich greift ihm dabei einer seiner berühmten Kollegen unter die Arme. Schon allein das zeigt, dass der Rapper für diese Platte anscheinend eine umfassende Vision hatte, die er dann auch lyrisch sehr konsequent umsetzt. Thematisch ist the Allegory eine der vielen Rap-Konzepte der letzten Jahre, die sich um die Aufarbeitung von schwarzem Lifestyle, schwarzer Geschichte und der Bürde des eingefleischten Rassismus in den Vereinigten Staaten dreht, wobei Royces Ansatz ein fast wissenschaftlicher und sehr analytischer ist. Ähnlich wie Lupe Fiasco oder Jay-Z auf deren letzten Alben spricht er hier über das Erbe der Sklaverei, alltägliche Diskriminierung und kulturelle Verwachsungen, wobei er nicht selten die Arbeit eines investigetiven Journalisten leistet, der nicht nur aus Misstände hinweist, sondern auch Zusammenhänge erkennt und belegt, die teilweise Jahrhunderte zurückreichen. Mehr als einmal fordert er die Hörenden auf dieser LP auf, bestimmte Dinge zu googeln, erklärt historische Ursprünge rassistischer Praktiken und nutzt die Biografien anderer, um ein Bild einer strukturell ungleichen Gesellschaft zu zeichnen. Im Gegensatz zu Leuten wie Fiasco verpackt er das ganze aber in lyrisch clevere Performances, die nicht nur aufklären, sondern auch künstlerisch anprechend sind. Und wenn das mal nicht ausreicht, ist schnell ein Skit oder ein Interlude zu Hand, das der ganzen Sache Kontext gibt. Ein stringentes Konzept gibt es dabei inhaltlich nicht, the Allegory ist eher ein aufklärerischer Ideenpool, in dem Fakten, Geschichten, Eindrücke und eigene Biografie zu spannenden Infotainment zusammenkommen. Klar gibt es dabei auch ein paar schwierige Momente für diesen Ansatz, unter anderem gleich mehrere, in denen Royce die Zusammenhänge zwischen Impfungen und Autismus darzulegen versucht (autsch!) und damit nicht nur Schwachsinn erzählt, sondern auch völlig das eigentliche Thema verfehlt. Solche Sachen sind schade, denn abgesehen von sowas ist dieses Album sicherlich eines der intelligentesten, das ich zu diesem Thema in den letzten Jahren gehört habe und auch musikalisch spricht mich hier vieles an. Zwar sind Royces Beats relativ klassisch gehalten und nicht unbedingt so supertoll wie die eines hauptberuflichen Produzenten, doch sind sie durchweg stimmig, passen sehr gut zu den jeweiligen Lyrics und sorgen auch für einen ziemlich ansprechenden Gesamtflow. Unterm Strich ist the Allegory damit eines der besten und am coolsten gemachten politischen Rap-Alben seiner Art und macht meinen Erstkontakt mit diesem Künstler auf jeden Fall zu einem sehr besonderen. Ich habe keine Ahnung, ob das eine Eigenschaft dieser LP ist oder Royce Da 5'9" schon immer so dermaßen gut war, aber ich kann jetzt auf jeden Fall alle verstehen, die diesen Typen für einen großen Rapper halten. Und dass so eine Platte mehr Aufmerksamkeit bekommt als es momentan der Fall ist, versteht sich dabei ja quasi von selbst.



Klingt ein bisschen wie
Lupe Fiasco
Drogas Wave

Mick Jenkins
the Healing Component

Persönliche Höhepunkte
Mr. Grace | Dope Man | On the Block | Overcomer | Thou Shall | FUBU | Perspective (Skit) | Black Savage | Young World | My People Free | Hero

Nicht mein Fall
Pendulum | Ice Cream (Interlude)


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